Sète - das Venedig des Languedoc.

Sète – Tradition und moderne Fischerei im Einklang

4. Dezember 2021 | 0 Kommentare

Tief unten im Süden Frankreichs, rund 200 Kilometer vor der spanischen Grenze, liegt die Hafenstadt Sète, das Venedig des Languedoc. An den Ufern der Kanäle reihen sich farbenfrohe Hausfassaden aneinander. Fischerboote dümpeln an den Kais. Weiter in Richtung Meer sind riesige Trawler vertäut. Die Luft schmeckt nach Salz und Fisch.

Abendessen in einer der vielen Brasserien am Quai Général Durand. Auf dem Teller eine fangfrische Makrele. An der nur wenige Schritte entfernten Kaimauer ist ein knapp 40 Meter langer Thunfischwadenfänger festgemacht, versperrt die Sicht auf das gegenüberliegende Kanalufer. Gleich daneben ein Mehrzwecktrawler, der in einigen Stunden auslaufen wird. Makrele, Seehecht, Tintenfisch, Seezunge und vieles mehr wird er am nächsten Nachmittag anlanden. Der Fang wird gleich in der Auktionshalle versteigert. Séte, auf der einen Seite ein bisschen nostalgisch, ein bisschen aus der Zeit gefallen, ja verspielt und romantisch. Auf der anderen Seite hochmoderne Seefischerei mit all ihren Problemen wie Überfischung, Fangquoten, Nachhaltigkeit. Kontraste? Zweifelsohne. Und dennoch verschmilzt das eine mit dem anderen, entwickelt sich ein ganz besonderes Lebensgefühl – bestimmt vom Meer.

Ludwig XIV. legte den Grundstein für den Hafen

Sète, 32 Kilometer südwestlich von Montpellier gelegen und allseits von Wasser umgeben, ist alt, sehr alt. Erste Spuren lassen sich auf das Ende der Bronzezeit datieren. Den Grundstein für die Blüte der Handels- und Hafenstadt legte König Ludwig XIV., als er 1666 den Bau der Mole Saint-Louis veranlasste. Die im Languedoc erzeugten Waren sollten von dort exportiert werden. Frachtkähne gelangten durch den in Toulouse beginnenden Canal du Midi, 1681 fertiggestellt, in den Étang de Thau. Von dieser Lagune aus erreichen sie die Mole in Sète. Heute zählt der lebensfrohe Ort 43.700 Einwohner. Seine große Bedeutung als Hafenstadt hat er nicht eingebüßt. Damals war er neben dem Umschlagplatz für Produkte aus dem Hinterland auch der erste französische Fischereihafen am Mittelmeer. Heute ist er gleich hinter Marseille zweitgrößter Mittelmeerhafen Frankreichs.

Vom Canal Royal ans offene Meer

An einem sonnig-warmen Herbsttag führt der Spaziergang auf dem Quai Général Durand entlang am Canal Royal, der die Lagune mit dem Yachthafen verbindet. Ein Bistro lädt zu einer Pause mit Rosé und gegrillten Sardinen ein. Der Blick konzentriert sich auf die bunt getünchten Häuser im mediterranen Baustil. Der Beobachter entdeckt schmiedeeiserne Balkone und Feuertreppen und erkennt italienische Akzente. An den Kaimauern schaukeln kleine Fischerboote, die ebenso fröhlich bunt angestrichen sind wie die Häuser. Dieser Hauch von Italien und Venedig ist den Fischern aus der Umgebung von Neapel zu verdanken, die in den 1850er Jahren in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen nach Sète übersiedelten.

Gestärkt geht es vorbei an den großen Trawlern weiter hinunter zur Mole Saint-Louis, benannt nach Ludwig IX., dem Schutzpatron der Stadt. Er wurde 1297 heilig gesprochen. Zur Linken der Yachthafen, zur Rechten das offene Meer, am Ende die Hafeneinfahrt mit dem Leuchtturm. Container- und Fischereischiffe, Fähren, die Sète im Linienbetrieb mit Barcelona in Spanien, mit Nador und Tanger in Marokko verbinden, Segelboote und Yachten gleiten in langsamer Fahrt hinaus aufs Meer oder hinein zum Anleger.

An der Mole beginnt auch die Promenade Maréchal Leclerc, an der nach vielleicht hundert Metern das Bistro Chez Alphonse auf einer Felsenterrasse liegt. Der Blick von hier auf das Mittelmeer ist fantastisch. Bei Wein und Meeresfrüchten genießt man im Sonnenschein und dem azurblauen Meer vor der Nase das süße Nichtstun. Entweder man bleibt einfach sitzen und vertrödelt die Zeit, was keine schlechte Idee ist, oder man spaziert vorbei am Cap Sète zwei Kilometer direkt am Meer entlang zum Plage du Lazaret und weiteren schönen Sandstränden.

Wer genug frische Seeluft eingeatmet hat, macht einen Bummel durch die Altstadt von Sète mit den kleinen Straßen und Gassen, vielen Geschäften, Cafés und Bistros. Wer Lust hat, steigt den 186 Meter hohen Stadthügel Mont Saint-Clair hinauf und genießt den Panoramablick – bei klarer Sicht bis hin zu den Pyrenäen.

Der Hafen von Sète

Der Hafen von Sète, hinter Marseille der zweitgrößte Mittelmeerhafen Frankreichs, wird in der Kategorie mittelgroß gelistet und kann von Schiffen aller Art angelaufen werden wie Seglern, Kreuzfahrt- und Vergnügungsschiffen, Öl- und Chemietankern, Fracht- und Fischereischiffen. Die maximale Länge beträgt 277 Meter, der Tiefgang 12,2 Meter und das maximale Gewicht 81.965 Tonnen. Im Gare Maritim Orsetti können pro Jahr bis zu 300.000 Passagiere abgefertigt werden. Neben dem Fährhafen liegt das große Areal des Industriehafens. Geschützt werden die Hafenanlagen von einem 650 Meter langen Deich.

Die Fischfangflotte von Sète besteht aus 14 Mehrzwecktrawlern, 18 Thunfischwadenfängern, die mit ihrer Methode gefährdete Arten schützen, sowie einer Vielzahl kleiner Fischerboote. Die Thunfischfänger stechen am Ende des Frühjahrs Richtung Malta und Balearen in See. Sie holen 50 Prozent des gesamten französischen Thunfischfangs ein. In erster Linie wird der Rote Thun gefangen, dessen Bestand sich in den vergangenen Jahren mit erheblich reduzierten Quoten stark erholt hat. Er zählt nicht mehr zu den bedrohten Arten. Während die Thunfischfänger mehrere Tage auf See bleiben, laufen die Mehrzwecktrawler früh morgens aus und kehren gegen 16 Uhr wieder zurück. Sète ist der bedeutendste Fischereihafen Frankreichs am Mittelmeer. Der größte und wichtigste der Nation ist Boulogne-sur-Mer am Ärmelkanal.

Bis zu 40 Meter lange Trawler liegen an den Kais.

Der Étang de Thau

Die 18 Kilometer lange und fünf Kilometer breite Salzwasserlagune zwischen dem Festland und Sète ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein bedeutender Ort für die Austernzucht. Der See hat eine durchschnittliche Tiefe von fünf Metern. Gezeiten gibt es hier nicht. Für die Zucht mussten spezielle Techniken entwickelt werden. Bauunternehmer Antoine Louis Tudesq hatte die geniale Idee und leitete 1925 die Erfolgsgeschichte für die Austern im Ètang de Thau ein. Die natürlich guten Bedingungen im See, der um einige Grad wärmer ist als das Mittelmeer, lassen die Austern schneller wachsen und zu hoher Qualität reifen. Die meisten Austernbänke liegen vor den Städten Bouzigues, Mèze und Marseillan. Die meisten Züchter bieten die Schalentiere direkt zum Verzehr an.

Fischerstechen

Im Hochsommer, während des Stadtfestes Saint-Louis, findet in Sète ein unvergleichlicher Wettkampf auf dem Canal royal statt: das Fischerstechen. Zehntausende Menschen zieht es dann in die Hafenstadt zu den Ritterspielen auf dem Wasser. Die Mannschaften sitzen in großen Ruderbooten. Auf der Plattform am Bug stehen die Hauptakteure mit Schild und Speer und versuchen, sich gegenseitig ins Wasser zu werfen. Diese uralte Tradition wird bereits mit großem Ehrgeiz von den Kindern an Land auf Rollbretter betrieben.

Georges Brassens

Einer der berühmtesten Söhne der Stadt ist Chansonnier Georges Brassens. Der Dichter und Musiker wurde am 22. Oktober 1921 in Sète geboren. 60 Jahre später, am 29. Oktober, starb er an einem Krebsleiden in der Nähe von Montpellier. Seine letzte Ruhe fand Brassens in seinem Geburtsort auf dem Friedhof Le Py. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Paris. Nachdem er die Schule in Sète abgebrochen hatte, zog er mit 18 Jahren in die Seine-Metropole. Sète ehrt Leben und Werk des Sängers, von dem bis heute mehr als 30 Millionen Tonträger verkauft wurden, im Museum Espace Brassens, 67 Boulevard Camille Blanc.

Lesetipps
  • Manfred Hammes erzählt in seinem Buch „Durch den Süden Frankreichs“, warum Brassens gemeinsam mit Püppchen im Grab liegt, und warum Bauunternehmer Tudesq als Austernzüchter mehr Geld verdient. (Nimbus-Verlag)
  • Johanna Huda lässt in ihrem Kriminalroman „Schatten über dem Étang de Thau“ ihren Helden Capitaine Leroux bei den Austernzüchtern und im Hafenmilieu von Méze ermitteln. (Oldib-Verlag)

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