Die gewaltige Burg von Tarascon an der Rhône.

Schon Henry James bemerkte die „lebhafte Schläfrigkeit“ von Tarascon

18. Dezember 2021 | 0 Kommentare

Das 15.000-Einwohner-Städtchen am linken Rhône-Ufer ist so gar nicht typisch-provenzalisch. Gerade deshalb ist es einen Besuch Wert. Die Tarasque und der Tartarin sind zwei nicht wirklich berühmte Helden. Dafür versöhnt die Heilige Martha.

Dunkle Regenwolken jagen über den Himmel. Der Wind fegt gefühlt eiskalt die Rhône hinunter. Auf der gewellten Wasseroberfläche bilden sich kleine Schaumkronen. Die Bäume beidseits an den Ufern schwanken kräftig. Nur wenige fröstelnde Touristen in dicken Jacken stehen am Fuße der trutzigen Burg Tarascon. Ihre Blicke schweifen von den gewaltigen Mauern hinüber auf die Rhône. Der Wind nimmt an Stärke zu. Erste Regentropfen fallen. Es ist furchtbar ungemütlich. Goldener Oktober in der Provence? Das ewige Blau? Heute ganz bestimmt nicht.

Glasfenster in der Stiftskirche: Sainte Marthe im Kampf mit dem Drachen. Foto: pixabay

Mit hochgezogenen Schultern treten die Urlauber den Rückzug an, werfen noch schnell einen Blick auf die große steinerne Skulptur – die Tarasque. Der Drache scheint sich zu amüsieren. Offenbar belustigt ihn die Flucht der Menschen vor dem jetzt heftig einsetzenden Regen. Das furchteinflößende Ungeheuer, halb Mensch, halb Tier, versetzte schon vor Jahrhunderten die Menschen in Angst und Schrecken. Reisende soll es hier an dieser Stelle verschlungen oder in den Fluss geworfen haben. Tarasque trieb sein Unwesen, bis ihn die Heilige Sainte Marthe mit Musik und Gesang beschwichtigte. Die Bewohner des Ortes aber rächten sich für die Schreckenstaten und steinigten Tarasque. Dennoch wurde das Städtchen nach dem Übeltäter benannt.

Ein Spaziergang wie in einer Filmkulisse

Bis zur pittoresken Altstadt sind es nur wenige Schritte. In der Stiftskirche Sainte Marthe begegnet uns wieder die Geschichte der Heiligen Martha von Bethanien aus Judäa. Im Jahr 48 soll sie nach Südfrankreich geflohen sein. Unter der Krypta des alten romanischen Gotteshauses wurden 1187 ihre Reliquien gefunden. Grund genug, eine neue Kirche zu bauen. Heute ruhen die sterblichen Überreste der heiligen Frau dort in einem vergoldeten Schrein. Die Kirche erfuhr in den Jahrhunderten zahlreiche Umbauten, besonders nach Kriegsschäden.

Der Weg durch die Gassen führt auf die Rue des Halles. Diese von Arkaden gesäumte Straße ist ein „bemerkenswertes Kulturerbe. Sie wurde im Mittelalter gebaut und entwickelte sich anschließend zum Handelszentrum der Stadt“. So steht es geschrieben auf einer der vielen Hinweistafeln in der Altstadt. Der eine und andere Laden wirkt wie aus der Zeit gefallen. Ohnehin beschleicht den Besucher das Gefühl, in den Kulissen eines Filmstudios zu sein. Besonders heute an diesem tristen Tag, an dem kaum jemand unterwegs ist, sich weder ein Fenster noch eine Haustür öffnet. Am Place du Marché zieht das Rathaus aus dem 17. Jahrhundert mit seiner schönen Fassade die Aufmerksamkeit auf sich. Einige Touristen trotzen dem Schmuddelwetter und lassen den morbiden Charme dieses so gar nicht typisch-provenzalischen Städtchens bei einem Gläschen Rotwein auf der Terrasse der Bar-Tabac auf sich wirken.

Literaten auf der Durchreise

Im Reisebuch „Durch den Süden Frankreichs“ von Manfred Hammes lesen wir, dass Henry James (1843-1916) die „lebhafte Schläfrigkeit“ des Ortes bemerkt und Gustave Flaubert (1821-1880) feststellt, Tarascon „gleicht einer Stadt, deren sämtliche Einwohner ausgewandert sind“. Und wir erfahren, dass Alphonse Daudet (1840-1897) diesen Ort für sein Buch „Die wunderbaren Abenteuer des Tartarin von Tarascon“ nur zufällig gewählt hat. Schließlich habe er ja eine Stadt im Midi namentlich nennen müssen. Diesen populären französischen Roman über einen Angeber bannte der Pionier der Filmgeschichte, Georges Méliès, 1908 auf Zelluloid.

Im ehemaligen Stadtpalais Hôtel d’Ayminy an der Rue Charles-Deméry befindet sich das Tuchmuseum und ein Shop der Textil- und Modefirma Souleiado. Bis zum Jahre 1806 wurden hier in der Manufaktur hochwertige provenzalische Stoffe mit den typischen Mustern der Provence bedruckt. Die Firma stellt auch heute noch luxuriöse Heimtextilien und Mode her.

Die Burg ist heute Museum und Kulturzentrum.

Residenz, Gefängnis und heute ein Kulturzentrum

Schließlich lohnt noch ein Blick hinter die dicken Festungsmauern der Burg, dem Château de Tarascon. Entstanden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts diente sie den Grafen der Provence als Residenz. Zugleich erlangte sie aber auch traurige Berühmtheit als Gefängnis, besonders zwischen 1642 und 1926. Während der Französischen Revolution wurden nach dem Sturz Robespierres 1795 dort auch seine Anhänger hingerichtet. Von den vielen Gefangenen sind noch die Graffiti (Zeichnungen und Einritzungen) an den Kerkerwänden zu sehen.

Die Burg ist seit 1933 für die Öffentlichkeit zugänglich und befindet sich im Besitz der Stadt Tarascon. Sie gilt als eine der schönsten mittelalterlichen Frankreichs. Seit 2009 beherbergt die Festung eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Unter anderen sind Arbeiten von Christian Lacroix zu sehen.

Auffällig an dem kolossalen Gebäude mit architektonischen Elementen aus der Gotik und der Renaissance sind die vier Türme, von denen die beiden zur Stadt rund und die beiden zur Rhône eckig sind.

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