Er war Schriftsteller, Maler, Drehbuchautor, Filmregisseur und Schauspieler. Er war bisexuell, drogenabhängig, avantgardistisch, sicherlich ein wenig abgedreht, feierte wilde Partys und war im steten Dialog mit Künstlern: Jean Cocteau, am 5. Juli 1889 in der Nähe von Paris geboren und im Oktober 1963 ebenda gestorben, hinterließ in der Provence und an der Côte d’Azur ein vielfältiges künstlerisches Erbe.
Bereits mit 17 Jahren veröffentlichte er erste Gedichte. Seine zahlreichen schriftstellerischen Arbeiten umfassen Kurzgeschichten, Romane, Theaterstücke und Drehbücher. Er malte, zeichnete, illustrierte Bücher, schuf monumentale Decken- und Wandgemälde, drehte Filme, in denen er selbst Rollen übernahm. Trotz seiner Begabung als Bildender Künstler und als Schriftsteller sah sich Cocteau selbst in erster Linie als Dichter. Wir begegnen an der Côte d’Azur zwischen Menton kurz vor der italienischen Grenze und Villefranche-sur-Mer hauptsächlich den Werken des Bildenden Künstlers. Und in Les-Baux-de-Provence lernen wir ihn als Filmemacher kennen.
Das Musée Jean Cocteau in Menton und die Kapelle Saint-Pierre in Villefranche
In Menton, die Stadt der Zitronen, hielt sich Jean Cocteau seit seinem 66. Lebensjahr häufig auf. Der Ort bewahrt das Andenken des Künstlers im Musée Jean Cocteau. In der alten Hafenbastion, die ihm von der Stadt als Gestaltungsraum überlassen wurde, sowie dem neuen Museumsbau (2011) sind rund 2000 Werke zu sehen. Viele stammen aus der Schenkung des Sammlers Séverin Wunderman. Der wohl bekannteste Nachlass Cocteaus in Menton sind die Wand- und Deckengemälde im Salle des Mariages im Rathaus, sicher einer der schönsten Hochzeitsräume in Frankreich. Die Szenen von Orpheus und Eurydike aus der antiken Mythologie entstanden 1958. Auch Mobiliar und Beleuchtung bestimmte der Künstler.
Wir folgen Cocteau ins pittoreske Fischerdorf Villefranche-sur-Mer, heute ein touristisches Highlight an der Côte d’Azur und der größte Kreuzfahrthafen des Landes. Der Künstler hielt sich ab 1924 oft hier auf und wohnte im Welcome Hotel, das bis 1920 Hôtel de l’Universe hieß. Seine Geschichte reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Künstler und Schriftsteller waren stets gern gesehene Gäste. Auch Cocteau pflegte eine besondere Beziehung zu Haus und Besitzern und erwähnte das Hotel in seinen Büchern. Künstlerisch verewigte er sich 1957 in der Kapelle Saint-Pierre. Die von ihm gemalten Fresken zeigen Szenen aus dem Leben von Petrus, dem Schutzheiligen der Fischer, und anderer Apostel. Auch die Außengestaltung der kleinen Kirche ist Cocteaus Werk.
Von Villefranche fahren wir hinüber auf die Halbinsel Saint-Jean-Cap-Ferrat und besuchen die Villa Santo Sospir von Francine Weisweiller, die Cocteaus Filmprojekte finanziell unterstützte und ihn häufig zu Gast hatte. Sehr zu ihrem Vergnügen bemalte der Künstler die Wände des herrschaftlichen Domizils mit Fresken – teilweise erotisch – und brachte Mosaike an. 1959 wurde die Villa zu einem Schauplatz für Cocteaus Film „Das Testament des Orpheus“. Heute steht das Haus, immer noch in Privatbesitz, unter Denkmalschutz und kann besichtigt werden. Nicht nur der Geist von Cocteau schwebt durch die Räume, sondern auch der von Pablo Picasso, Greta Garbo oder Marlene Dietrich.
Von der Küste ins Hinterland nach Les-Baux-de-Provence
Wir verlassen die Côte d’Azur und folgen den Spuren Cocteaus nach Les-Baux-de-Provence. Dort entdeckte er 1935 die stillgelegten Kalksteinbrüche unterhalb der Festung als Set für viele Szenen seines avantgardistisch-experimentellen Films „Le testament d’Orphée“. Im Herbst 1959 kurbelte der Meister in den gigantischen Hallen des Steinbruchs, nicht ahnend, dass er der einstmals produktiven Stätte den Weg zu einem nie dagewesenen Kunstraum ebnete. Nach Abschluss der Dreharbeiten fielen die „carrières“ zunächst aber erneut in Tiefschlaf. Erst 1977 weckte der tschechische Szenograf Josef Svoboda sie wieder auf und installierte erste Lichtschauen.
Cocteaus Zelluloidstreifen „Das Testament des Orpheus“ ist zweifelsfrei hohe Filmkunst, aber nur schwer zu verstehen. Es gebe keine schlüssige Handlung, sagte der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller. Er werde „die Wirklichkeit von Orten, Personen, Gebärden, Worten und der Musik benutzen, um der Abstraktion, die der Gedanke vornimmt, eine Hülle zu geben“. In einem 16-minütigen Film, der im Cinéma der Carrières des Lumières gezeigt wird, erleben wir Jean Cocteau bei den Dreharbeiten im Steinbruch.
Das Blau von Yves Klein in den Carrières des Lumières und im MiR
Heute sind die Carrières des Lumières weit über den kleinen Ort Les-Baux-de-Provence hinaus bekannt. Zweifelsfrei auch Dank Cocteau, der den Weg für eine neue Nutzung ebnete. 100 Projektoren werfen auf 7000 Quadratmeter Fläche, die Wände sind bis zu 16 Meter hoch, jährlich wechselnde faszinierende Multimediashows. Ein Soundsystem mit 74 Lautsprechern sorgt für ein großartiges Klangerlebnis. Am 4. März startet das neue Kunsterlebnis 2022.
Das Kurzprogramm „Yves Klein, l’infini bleu“ hat für mich eine ganz besondere Bedeutung, verbindet es doch meine Heimatstadt Gelsenkirchen mit der mir so lieb gewordenen Provence. Der Maler, Bildhauer und Performance-Künstler Yves Klein, im April 1928 in Nizza geboren und viel zu früh mit 34 Jahren an einem Herzinfarkt in Paris gestorben, hat seine größten – und wie Kunstexperten sagen – bedeutendsten Monochrome im Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen geschaffen. Die einzigartigen Blauen Reliefs aus Naturschwämmen oder Gipsplatten von zum Beispiel 9,5 mal 10 Meter erhalten ihre Strahlkraft durch ein spezielles Bindemittel, das dem Ultramarinblau beigemischt ist. (Mehr dazu im Buch von Rolf Kiesendahl und mir „Ruhrgebiet für Kenner“, Verlag Ellert&Richter). Das Blau – patentiert als International Klein Blue (IKB) – ist für den Künstler eine Farbe außerhalb der Dimension. „Alle Farben haben konkrete Dinge im Gefolge, während das Blau höchstens an das Meer oder den Himmel erinnert, und damit an den höchsten Grad von Abstraktheit innerhalb der sichtbaren und greifbaren Natur“, beschrieb Klein sein Blau. Die spirituelle und metaphysische Dimension dieser Farbe will „Yves Klein, l’infini bleu“ – das unendliche Blau – dem Betrachter näherbringen.
Das diesjährige 40-minütige Hauptprogramm „Venise, la Sérénissime“ nimmt den Besucher mit auf eine Entdeckungsreise zu den künstlerischen und architektonischen Schätzen der Stadt Venedig. Gianfranco Iannuzzi zeigt in seiner digitalen Schau das Interieur und Exterieur dieses geschichtsträchtigen Ortes. Dabei begegnen dem Zuschauer die großartigen Werke von Tintoretto, Bellini und Canaletto.
Wunderbarer Artikel. Überraschend, wie Gelsenkirchen mit Frankreich verbunden ist: Yves Klein.