Wer sich jetzt mit dem Auto auf den Weg Richtung Südfrankreich macht, fährt ungebremst in den Frühling – wenn das Wetter keine Kapriolen schlägt. Spätestens ab Lyon überzieht Bäume und Sträucher ein zartes Grün. Die schneebedeckten Gipfel der Alpen zeichnen sich scharf gegen den blauen Horizont ab. Um Grenoble und weiter östlich läuft die Wintersportsaison noch auf Hochtouren. Ab Montélimar steigt die Temperatur, so scheint es, mit jedem Kilometer, den es tiefer in den Süden geht, Grad um Grad an. Das Grün wird grüner, und immer häufiger tauchen gelbe Farbkleckse erster Frühlingsblüten in der Landschaft auf.
Bei Châteauneuf-du-Pape schweift der Blick über die scheinbar unendlichen Weinfelder. Lange wird es nicht mehr dauern, bis die Knospen an den Reben austreiben und das erste Grün hervorbringen. Die Sonne wärmt, und die Winterjacke kann jetzt im Kofferraum bleiben. Rechts und links der Autobahn 7, der Autoroute du Soleil, säumen nun Obstplantagen die Fahrbahn. Aprikosen- und Pfirsichbäume erstrahlen in Weiß und zartem Pink. Tiefer in der Provence haben jetzt auch die Mandelbäume ihr weißes oder rosa Kleid angelegt und werden eifrig von ersten Insekten umschwärmt. Ende März wird der Rosmarin seine blassblauen Blüten öffnen. Zu dieser wunderschönen Palette aus zarten Farbtönen gesellt sich ein betörender Duft, der im Kopfkino schon den Sommer im Midi erwachsen lässt.
Über traumhafte Straßen von Grasse nach Bormes-les-Mimosas
Doch noch ist es März. Die Mimosenblüte überzieht jetzt die südliche Provence bis hinunter zur Côte d’Azur mit einem leuchtenden Gelb. Ein besonders schönes Reiseziel ist um diese Jahreszeit die 130 Kilometer lange Route du Mimosa, die in der weltbekannten Parfümstadt Grasse beginnt – oder endet, ganz nach Belieben. Grasse, 20 Kilometer nördlich von Cannes, liegt in den hügeligen Ausläufern der südlichen Seealpen und gilt als Welthauptstadt der Parfümherstellung. Im Mittelalter hatte das Gerberhandwerk große Tradition, und die Stadt roch alles anderes als angenehm. Der Alchimist und Apotheker Francesco Tombarelli eröffnete 1580 das erste Labor zur Duftherstellung und legte damit in Grasse den Grundstein der europäischen Parfümindustrie. Wurden zu seiner Zeit die um die Stadt herum wachsenden Blumen und Pflanzen für die Essenzen verwendet, so werden Tonnen von Blüten heute aus vielen Teilen der Welt angeliefert. Rund 30 Parfümfabriken sind in Grasse angesiedelt. Die bekanntesten sind Fragonard, Molinard und Galimard. Sie können besichtigt werden. Ihren Düften begegnet der Reisende in der Provence nahezu in jedem Ort.
Von Grasse aus geht es über das Örtchen Tanneron, das im Zentrum der in Frankreich größten Region mit wilden und kultivierten Mimosen liegt, hinunter nach Mandelieu-La-Napoule. Der Badeort mit seiner Festung und dem großen Yachthafen begann 1900 mit dem kommerziellen Anbau der Mimose. Heute werden die Sträuße weltweit verkauft. Weiter führt der Weg über die traumhafte Panorama-Küstenstraße entlang des Estérel-Gebirges nach Saint-Raphael und weiter nach Sainte-Maxime am Golf von St. Tropez. Über die Halbinsel führt die Strecke zurück an die zerklüftete und wilde Küste, die später, kurz vor Marseille, mit den Calanques – den tiefen Buchten mit kristallklarem Wasser – ihren optischen Höhepunkt findet. Auf der Route du Mimosa lädt in Rayol-Candel-sur-Mer der botanische Garten der Domaine du Rayol zu einem ausgiebigen Spaziergang ein. Gut 30 verschiedene Mimosenarten lassen sich dort neben vielen anderen südlichen Pflanzen bewundern. Über das quirlige Badeörtchen Le Lavandou geht es schließlich hinauf nach Bormes-les-Mimosas. Das hoch über dem Meer liegende wunderschöne mittelalterliche Dorf mit seinen steilen Gassen und vielen Treppen muss der Südfrankreich-Reisende gesehen haben. Nicht nur, weil in der Hauptstadt der Mimose rund 90 Sorten der so herrlich duftenden Pflanze im Frühling ihre Pracht entfalten.
James Cook schenkt Europa die Mimose
Dem britischen Seefahrer, Entdecker und Kartografen James Cook (1728-1779) sind die Mimosen in Europa wohl zu verdanken. Von seinen Pazifik-Expeditionen ab 1768 soll er erstes Saatgut dieser ursprünglich aus Südamerika stammenden Pflanze von Australien mit nach England gebracht haben. Die Mimosen wurden zunächst in den Londoner Kew Gardens angepflanzt. Reiche Engländer ließen sie später in ihren Privatgärten blühen und brachten sie in den Wintermonaten mit an die Côte d’Azur, um auch dort ihre Villen mit der üppigen Blütenpracht zu verschönern.
Da die tropische Pflanze im milden Klima am Mittelmeer gut gedieh, begann die kommerzielle Zucht. Das Mimosenblütenöl wird in der Parfüm- und Kosmetikherstellung verwendet. Mimosensirup, in dem das Aroma der Pflanze genutzt wird, verfeinert Getränke und Süßspeisen. Die Blütezeit der Mimose ist ab Anfang Januar bis Ende März, kann sich bei hartnäckigen Wintern nach hinten verschieben.
„Das Parfüm“ von Patrick Süskind
Der 1738 in Paris geborene Jean-Baptiste Grenouille, Parfümeur und Mörder, erreicht nach siebenjähriger Wanderschaft in den Süden Frankreichs 1763 Grasse, das „Rom der Düfte“, wie bei Süskind zu lesen ist. Der Autor beschreibt den Eindruck seines Protagonisten bei Ankunft mit den Worten: „Und obwohl nach Norden zu die großen Gebirge standen, auf denen noch der Schnee lag und noch lange liegen würde war hier nichts Rauhes oder Karges zu spüren und kein kalter Wind. Der Frühling war weiter vorangeschritten als in Montpellier. Ein milder Dunst deckte die Felder wie eine gläserne Glocke. Aprikosen- und Mandelbäume blühten, und die warme Luft durchzog der Duft von Narzissen.“
Der weltberühmte Roman aus dem Jahr 1985, 2006 von Produzent Bernd Eichinger in die Kinos gebracht, erzählt die Geschichte der Parfümherstellung, wobei die Hauptfigur zahlreiche Morde begeht.
Da möchte man sofort den Koffer packen und losfahren.