„Man reist nicht um anzukommen, sondern um zu reisen“, sagte einst Johann Wolfgang Goethe. Seine Worte nehmen wir mit auf den Weg vom Ruhrgebiet hinunter in den Süden Frankreichs. Rund 1200 Kilometer liegen vor uns bis Port-Saint-Louis-du-Rhône am Mittelmeer. Wir nehmen die Route über Luxemburg, Lyon, Orange und Arles und zitieren noch einmal den großen Dichter: „Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts.“ Also schauen wir, was es links und rechts der Strecke zu entdecken gibt – besonders ab Lyon. Denn von dort aus begleitet uns die Rhône in den Midi.
Nach gut 300 Kilometern erreichen wir auf der A 3 in Luxemburg den Grenzübergang: Bienvenue en France! Über Metz in der Region Grand Est, an Mosel und Seille gelegen, mit der weithin sichtbaren gotischen Kathedrale, und Nancy, bekannt für seine Spätbarock- und Jugendstil-Architektur, dem imposanten Place Stanislas mit den vergoldeten schmiedeeisernen Toren, geht es auf der A 31 Richtung Dijon und Beaune. Kurz hinter Toul an der Mautstation Péage de Gye wird die Autobahn gebührenpflichtig.
Nach knapp 700 Kilometern sind wir in Beaune, mitten im weltberühmten Weinbaugebiet Burgund. Der Ort erhielt 1203 Stadtrechte und war neben Dijon Sitz der Herzöge von Burgund. Ein Spaziergang auf der rund zwei Kilometer langen Stadtmauer aus dem 15. Jahrhundert eröffnet interessante Perspektiven auf die mittelalterliche Altstadt, deren Herzstück das Hôtel-Dieu (1443), das Hospices de Beaune, ist. Ursprünglich ein Krankenhaus für die Armen blieb es bis 1970 in Betrieb. Heute ist es ein Museum, dessen Besuch man ebenso wenig versäumen sollte wie den des dazugehörigen Weinkellers. Ein ganz besonderer Genuss ist eine Übernachtung im historischen Hotel Le Cep.
Spektakuläre Architektur am Zusammenfluss von Rhône und Saône
Weiter geht die Reise auf der A 6, der Autoroute du Soleil, nach Lyon, hinter Paris und Marseille die drittgrößte Stadt Frankreichs, die auf über 2000 Jahre Geschichte zurückblickt. In der sehenswerten Altstadt genießt der Reisende neben der französischen Lebensart hohe oder bodenständige Kochkunst, erfrischende Landweine oder edle Tropfen – ganz nach Belieben auf Drei-Sterne-Niveau oder in einem traditionellen Lyoner Bouchon. „Une marche“ am Ufer der Rhône bringt uns mit dem Fluss auf Tuchfühlung. Le Rhône – in Frankreich ist der Fluss männlich – nimmt hier Kurs aufs Mittelmeer, wo er nach 807 Kilometern westlich von Marseille in einem Delta mündet. Im schweizerischen Kanton Wallis in den Westalpen entsprungen, ist Le Rhône mit den Zuflüssen Saône, Isère und Durance der wasserreichste Strom Frankreichs.
Das jüngste Wahrzeichen Lyons ist das Musée des Confluences, am Zusammenfluss von Saône und Rhône direkt an der Stadtautobahn. Der avantgardistische Bau des Museums mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften ist ein architektonisches Highlight. Entworfen von der Wiener Architektengruppe Coop Himmelb(l)au wurde es nach 14 Jahren Planungs- und Bauzeit im Dezember 2014 fertiggestellt.
Sonnenüberflutete Hänge und weltberühmte Lagen
Le Rhône, ab Lyon bis zur Mündung schiffbar – zum Teil über Seitenkanäle – fließt fast träge neben der Autobahn 7. Nach rund 30 Kilometern verlassen wir bei der Ausfahrt 10 die Autoroute du Soleil und schlängeln uns auf der D 386 mit dem Strom gen Süden. Wir haben Zeit, Zeit, die man in Frankreich grundsätzlich haben sollte. Wir erreichen die Winzerorte Ampuis und Condrieu. An den sonnenüberfluteten terrassierten Hängen gedeihen vortreffliche nördliche Rhône-Weine. Bis hinunter nach Avignon reihen sich nun weltberühmte Lagen aneinander. In Tournon-sur-Rhône und Tain l’Hermitage lohnt eine Pause. Die beiden beschaulichen Orte werden mit der Passerelle Marc Seguin verbunden, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Brooklyn-Bridge nicht leugnen kann. Der Spaziergang über die Fußgängerbrücke ist ein Muss. An beiden Ufern lässt es sich herrlich entspannen. Im Hotel Les Deux Côteaux in Tain genießt man das Frühstück mit Blick auf Le Rhône. In Tournon schläft man nobel im Hotel de la Villeon mit traumhaftem Blick auf die Weinterrassen.
Römische Ausgrabungen und Chateauneuf-du-Pape im Glas
Weiter geht es auf Département-Straßen stets auf Tuchfühlung mit dem Fluss Richtung Montélimar, dem Tor zur Provence. Wer jetzt schneller vorwärts kommen möchte, wechselt auf die Nationalstraße 7 oder die Autobahn 7, die ebenso schöne landschaftliche Perspektiven bieten wie die Département-Straßen. Die alte Römerstadt Orange und direkt am Rhône-Ufer die Stadt der Päpste, Avignon, sind weitere Höhepunkte auf dem Weg nach Süden. Geschichte hier wie da. Der Besuch des Amphitheaters mit den römischen Ausgrabungen, die Fahrt durch das weltbekannte Anbaugebiet Chateauneuf-du Pape verlangen nach einem Zwischenaufenthalt.
Ab Avignon begleiten wir Le Rhône über Tarascon nach Arles. Dort beginnt mit dem Parc naturel regional de Camargue das fast 50 Kilometer breite Rhône-Delta. Die flache Landschaft erinnert an die Everglades in Florida. Dazu tragen auch die rosa Flamingos bei. Noch 40 Kilometer sind es über die D 35 nach Port-Saint-Louis-du-Rhône. Wir sehen die weißen Pferde der Camargue, die Stiere, gleiten vorbei an Reisfeldern, genießen den Blick auf die Salzgärten und sehen Schluss endlich wie sich Le Rhône mit dem Mittelmeer vereint. Au revoir!
Info Autobahn
Die Autobahn in Frankreich ist bis auf wenige Ausnahmen gebührenpflichtig. Da es verschiedene private Autobahn-Gesellschaften gibt, ist die Maut nicht einheitlich. Außerdem richtet sie sich nach der Fahrzeugklasse. Sie liegt im Durchschnitt bei 9 Cent pro Kilometer. Die Strecke von Metz nach Arles kostet ungefähr 55 Euro (Stand Februar 2022). Tunnel und Brücken müssen oft zusätzlich bezahlt werden. An den Mautstationen – Gare de péage – zieht bzw. bezahlt man das Ticket. Dabei die richtige Fahrspur wählen! Es gibt Schalter, an denen nur mit einer Kreditkarte (informieren welche akzeptiert werden, keine EC-Karten) gezahlt werden kann, Schalter für Bargeldzahlungen (ähnlich Parkautomaten), Schalter nur für passendes Münzgeld. Die mit einem gelben „t“ gekennzeichneten Spuren bedeuten Télépéage. Für die elektronische Gebührenerfassung ist ein Transponder erforderlich, den können auch Touristen in Deutschland bestellen.
Auch in Frankreich gibt es eine Umwelt-Vignette. Umweltzonen sind in der Regel große Städte, können aber auch temporär ausgewiesen werden. Die Vignette kann online bestellt werden und kostet ca. fünf Euro. Die deutsche Feinstaub-Plakette ist in Frankreich nicht gültig.
Ab Orange wird alles besser
Eine Reisegeschichte von Krimi-Autorin Johanna Huda
Lena und Hännes freuten sich wie die Schneekönige. Das Verdeck ihrer dunkelblauen Ente war geöffnet. Am liebsten hätten sie die französische Fahne ausgerollt. Endlich waren sie auf dem Weg ins Languedoc. „Weißt du, worauf ich mich am meisten freue?“, fragte Lena. „Auf frische Austern“, vermutete Hännes. Statt zu antworten, kniff Lena ihn in den Arm. „Ich rieche schon das knusperige Baguette, mmh. Und die Pinien“, schwärmte sie. „Und ich die Mimosen“, ergänzte Hännes. „Witzbold. Die Mimosen blühen im Januar“, korrigierte Lena etwas altklug. Hännes stellte das Radio lauter. „Je vole“, sang Louane Emera und beide Reisenden sangen laut mit.
Lena warf einen Blick auf das Navi: „Noch siebenhundertvierundfünfzig Kilometer. Wir sollten eine Pause einlegen.“ Kurz hinter Nancy fuhren sie auf einen Rastplatz und vertraten sich die Beine. Zum Glück hatten sie als Reisetag einen Sonntag gewählt, nur wenige Lastwagen teilten sich mit ihnen die rechte Spur. Sie genossen das entspannte Fahren auf der französischen Autobahn. „Sollen wir weiter?“ Lena zog es in den Süden und übernahm das Steuer. Hännes machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem und kramte die Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung aus seiner Tasche. „Hey, du sitzt nicht zu Hause am Küchentisch“, beschwerte sich Lena. Wortlos versuchte Hännes, die Zeitung kleiner zu falten. „Mist“, schimpfte Lena plötzlich und weckte Hännes, der über einen philosophischen Text eingenickt war. „Was ist passiert?“, fragte er und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Die Tankanzeige blinkt“, antwortete Lena mit panischem Blick auf das rote Lämpchen. „Mach‘ dir nicht ins Hemd“, beruhigte Hännes. „Die nächsten zwanzig Kilometer schaffen wir noch.“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, zitierte Lena ihren Opa.
Zehn Minuten später stotterte der Motor, und die Ente mutierte zu einer lahmen. Gerade noch rechtzeitig steuerte Lena den Standstreifen an und schaltete die Warnblinkanlage ein. Sie war den Tränen nahe. Hännes legte ihr seine linke Hand auf ihren rechten Arm. „Meine Liebe. Für diesen Fall habe ich einen Fünf-Liter-Reserve-Kanister im Gepäck.“ „Hättest du das nicht eher sagen können“, schniefte sie. Ausgeschlafen hüpfte Hännes von seinem Beifahrersitz, öffnete die Heckklappe und kramte den Kanister heraus, füllte Benzin nach und fuhr weiter. Lena tupfte den zerlaufenen Lidschatten mit einem Taschentuch ab, schmollte und schloss die Augen. Drei Kilometer später tauchte das erlösende Schild auf. Nachdem sie die Ente voll betankt hatten, gönnten sie sich jeder einen doppelten Espresso.
„Morgen früh fahre ich sofort in die Markthalle“, verkündete Hännes, als sie wieder auf der Bahn waren. „Weißt du noch, wie ich das kleine goldene Spiegelchen in Marseillan auf dem Flohmarkt entdeckt habe?“, fragte Lena. „Weiß ich. Und ich habe den Kupfertopf für meine Marmelade ergattert.“
Hännes trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Aus dem Radio tönte „Smoke on the Water“. „Das war doch die erste Erkennungsmelodie von Joseph Leroux“, rief Lena aus. „Joseph, wer?“ Hännes legte die Stirn in Falten. „Der Kommissar, der kein Kommissar, sondern ein Capitaine ist“, trompetete Lena. „Ich verstehe nur Bahnhof“, motzte Hännes. „Spielverderber!“ Nach einer Weile beleidigten Schweigens erbarmte sich Lena, ihren Lebensabschnittsgefährten aufzuklären. „Na, du hast doch auch die fünf Krimis gelesen, die in und um Mèze spielen, der Schwan von Sète und so weiter.“ „Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein.“
Eine blaue Hinweistafel flog an ihnen vorüber: Lyon 196 km, Nimes 449 km, Montpellier 496 km. „Ich freue mich schon auf Lyon. Wenn wir Lyon geschafft haben, sind es noch zweihundert Kilometer bis Orange“, sagte Hännes. „Ab Orange wird alles besser“, meinte er, streckte seinen Rücken durch und strahlte Lena an. „Bevor du fragst, ich kann es dir nicht erklären. Wenn wir den Abzweig auf die Languedocienne nehmen, geht mein Herz auf. Und wenn ich erst die roten Hügel zu beiden Seiten der Autobahn sehe …“
Hännes beendete den Satz nicht. Er war kurz versucht gewesen, mit geschlossenen Augen von seiner Lieblingsbank zu träumen. Sie steht am Hafen von Mèze, links und rechts von Palmen eingerahmt, und gibt den Blick auf den Étang de Thau frei. Der wütende Fahrer einer schwedischen Limousine zeigte ihm im Vorbeifahren einen Vogel. „Ich glaube, wir sollten das Träumen auf später verschieben“, mahnte Lena. „In Orange fahren alle Eiligen in Richtung Marseille, wir tuckern dann gemütlich in unsere zweite Heimat“, freute sich Hännes auf den Midi und die wundervollen Sommertage, die vor ihnen lagen. „So machen wir das“, pflichtete Lena ihm bei und träumte von Austern und Weißwein.
0 Kommentare