„Die Provence habe ich mir erschrieben“, erzählt mir Cay Rademacher, Journalist und Schriftsteller. „Durch die Recherche für meine Krimis habe ich das Land wirklich kennen gelernt.“ Nicht nur das Land, sondern auch die Menschen und deren Arbeit. Also ist sein Ermittler ein Gendarm. „Denn die Gendarmerie ist für Recht und Ordnung auf dem Land zuständig, wo ich lebe.“ Capitaine Roger Blanc ist allerdings eine fiktive Person, die im wirklichen Leben nicht zu finden ist. „Vielleicht ist Blanc aber so, wie man auch ein bisschen sein möchte. Ich weiß es nicht“, sagt der Autor, dessen Mordgeschichten hingegen einen wahren Kern haben.
Mord und Totschlag in der Provence? Das passt eigentlich so gar nicht zum Savoire-vivre im Midi, wo die Leichtigkeit die Kunst zu Leben bestimmt, wo das Gläschen Wein, der betörende Duft des Lavendels, das Aroma frischer Kräuter auf der Lammkeule die Sinne flutet. Wo der Himmel so blau ist und die Sonne so strahlend wie kaum an einem anderen Ort auf der Erde. Wo das Tempo des Lebens einen Gang runter schaltet, wo wir tief durchatmen und genießen. Und dennoch ist das Grauen da. Warum wollen wir das lesen, können wir gar nicht abwarten, bis die Ermittler, die wir zu unseren Freunden gemacht haben, wieder abscheuliche Verbrechen aufklären? „Das weiß ich auch nicht. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist“, sagt Cay Rademacher. „Aber am Ende muss das Verbrechen aufgeklärt und vor allem der Täter verhaftet sein. Der Kommissar muss die Gesellschaft heilen, alles wieder in Ordnung bringen. So wie ein Therapeut. Das ist sehr wichtig für den Leser.“
Schreckliche Verbrechen mitten im Lockdown
2014 erschien im DuMont-Verlag der erste Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc. Neun spektakuläre Fälle hat der Kriminalist inzwischen gelöst, den zehnten, „Geheimnisvolle Garrigue“, ebenso. Doch seine Fans müssen sich noch bis zum 17. Mai gedulden, bevor sie nicht nur knallhart mit einem Verbrechen, sondern auch mit der Pandemie konfrontiert werden. „Es ist ein Experiment“, so der Autor.
„Nicht nur die idyllische Provence zu beschreiben – könnte sein, dass mich das bestraft.“
Cay Rademacher
Im März 2020 verhängt Frankreich eine strenge Ausgangssperre. In dieser Krise verschwindet eine junge Frau. Capitaine Blanc findet lediglich den linken Schuh. Vor Jahren gab es vier ähnliche Fälle. Sie wurden nie aufgeklärt. Wenig später verschwindet eine zweite Frau. Rademacher: „Das Setting für einen Krimi war total spannend. Leere Straßen, leere Städte. Der Staat hat die Menschen eingesperrt. Wie kann im Lockdown jemand verschwinden, wie ein Mord geschehen?“
Seit 2013 lebt Cay Rademacher, 1965 in Flensburg geboren, mit seiner Frau, einer Provenzalin, und den drei Kindern auf dem Lande in der Nähe von Salon-de-Provence. Den Wohnsitz in Deutschland hat die Familie längst aufgegeben. „Ich bin Auswanderer“, sagt er, „und habe diesen Schritt niemals bereut.“ Der Süden Frankreichs ist die Heimat geworden. Ein Vorteil für den Leser. Denn der erfährt so Einiges, was nicht im Reiseführer steht.
„Ich wollte schon immer Krimis schreiben“, sagt Rademacher, der Anglo-amerikanische Geschichte, Alte Geschichte und Philosophie studierte. Seine erste Krimi-Reihe um Oberinspektor Frank Stave spielt nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg, wo der Journalist einige Jahre lebte und arbeitete. Mit dem Umzug in den Midi verlegte Cay Rademacher die Tatorte auch dorthin. Er ist nicht der einzige Krimi-Autor, der den Leser und Frankreich-Liebhaber bei einer Reise in die Provence jede Menge Nervenkitzel bietet. „Ich lese nicht einmal die Krimis meiner Kollegen. Das soll jetzt nicht arrogant sein. Ich will mich eben nicht beeinflussen lassen. Was ich lese, ist das, was meine französischen Kollegen schreiben. Das finde ich toll und lehrreich. Davon lasse ich mich inspirieren.“
Ganz ohne pandemische Einflüsse
Remy Eyssen nennt es „mutig“, dass Cay Rademacher das Thema Corona einbezieht. Er selbst lässt die Pandemie in seiner Krimireihe um den Rechtsmediziner Leon Ritter außen vor: „Meine Geschichte spielt an einem bestimmten Ort, aber nicht in einer bestimmten Zeit. So bleibt sie immer aktuell. In der Dramaturgie eines Krimis wäre dieses Ereignis eine Ablenkung und Irritation“, ist Eyssen überzeugt.
Leon Ritter klärt also im typisch südfranzösischen Badeort Le Lavandou das neunte Verbrechen ganz ohne pandemische Einflüsse auf, wobei er sich einmal mehr in die Ermittlungen der Polizei einmischt. In „Stürmisches Lavandou“ (Ullstein, erscheint am 28. April) wird die sommerliche Atmosphäre während einer Meisterschaft im Windsurfen jäh gestört, als am Strand ein totes Pärchen gefunden wird. Ermittlungen ergeben, dass der Mann vor seinem Tod zusehen musste wie seine Partnerin vergewaltigt und ermordet wurde. Der Rechtsmediziner und die Polizeu suchen also einen Liebespaar-Mörder.
„Eine Mischung aus munterem Strandleben und dem finsteren Hinterland.“
Remy Eyssen
Der Ort ist allerdings längst nicht mehr so beschaulich wie der Krimi vermuten lässt. „Als junger Mensch habe ich ihn als ziemlich verschnarchte Angelegenheit gesehen. Inzwischen hat sich natürlich viel verändert. Beim Schreiben muss ich aufpassen, dass ich nicht zu sehr in die Vergangenheit gerate“, so Eyssen. Wer Lavandou besucht, erkennt das Städtchen aus dem Krimi wieder. „Es bleibt authentisch. Nur dort, wo der Mord passiert nicht.“
Auch wenn Remy Eyssen und Cay Rademacher ihre spannenden Geschichten völlig unterschiedlich aufbereiten, der eine ohne und der andere mit aktuellem Zeit- und Ereignisbezug, sind sich die Autoren beim Ende einig: Die Idylle muss wieder hergestellt, die Welt wieder in Ordnung gebracht sein. Ende gut, alles gut. „Schön, wenn es auch im wirklichen Leben bald so wäre“, sagt Remy Eyssen.
Ein paar Lesetipps
Es ist die südfranzösische Lebensart, die den Erfolg der Provence-Krimis ausmacht, die in jedem Frühjahr neu auf den Markt kommen.
Hinter dem Pseudonym Pierre Martin verbirgt sich ein deutscher BestsellerAutor, der in seiner Reihe „Madame le Commissaire“ seine Protagonistin Isabelle Bonnet die verwickeltsten Fälle aufklären lässt. Dabei wollte Madame le Commissaire eigentlich in ihrem Heimatort Fragolin im Hinterland von Cannes ihre Karriere geruhsam ausklingen lassen. Zum Team gehört auch ihr Assistent Apollinaire, der sich trotz all seiner Tollpatschigkeit als unorthodox arbeitender und loyaler Kollege erweist. „Madame le Commissaire und die Villa der Frauen“ heißt der jüngste Band der Reihe (erschienen im Droemer-Knaur-Verlag).
Erfolgsautorin Heike Koschyk, die unter dem Pseudonym Sophie Bonnet schreibt, lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Ihr Protagonist Pierre Durand, ein ehemaliger Kommissar aus Paris, genießt im Midi das Leben. Doch immer wieder wird der gewiefte Ermittler mit mysteriösen Verbrechen konfrontiert. „Provenzalischer Sturm“ heißt der achte Fall (18. April, Blanvalet).
Eng mit der Provence verbunden ist auch ein bekannter deutscher Autor, der unter dem Namen Pierre Lagrange schreibt. Was bestimmt auch daran liegt, dass seine Mutter bei Avignon ein kleines Hotel betrieb – mit viel gelobter provenzalischer Küche. Im siebten Fall „Trügerische Provence“ verschwinden während der Konzertsaison bekannte Musikerinnen. Die amtlichen Ermittler tappen im Dunklen. Aber da ist noch der liebenswerte Ex-Commissaire Albin Leclerc, der mit seinem Mops Tyson den Tätern auf die Spur kommt (Ende April, S. Fischer Verlag).
„Verhängnisvolle Lügen an der Côte d’Azur“, erscheint in diesem Monat bei Kiepenheuer&Witsch und ist der neunte Roman der gebürtigen Heidelbergerin Christine Cazon, die seit 2005 im Midi lebt. Ihr Romanheld Commissaire Léon Duval kommt aus Paris ans Mittelmeer. Er ermittelt nicht im Cannes der Stars und Sternchen, sondern abseits des roten Teppichs. Dieses Mal reicht die Handlung weit in die Vergangenheit – bis zum Staudamm-Unglück von Malpasset Ende der 1950erJahre. Neben der Krimi-Handlung beschreibt Cazon lustvoll die französische Lebensart und weckt die Sehnsucht nach Strand, Sonne und gutem Essen.
Die Gelsenkirchener Autorin Johanna Huda nimmt den Leser in diesem Sommer wieder mit ins Languedoc, wo Capitaine Joseph Leroux seinen sechsten Fall, „Den Mord an Monsieur Bonmatin“, löst. An den ersten heißen Junitagen, wenn die Bienenvölker fleißig mit der Honigproduktion beschäftigt sind, wird ausgerechnet der umweltbewusste Imker Bonmatin tot in seiner Wohnung in Mèze aufgefunden. Die Ermittlungen von Capitaine Leroux und seinem Team führen in die Molière-Stadt Pézenas, nach Sète, dem größten französischen Fischereihafen am Mittelmeer, nach Montagnac, Montpellier, den Strand von Marseillan und sogar bis nach Lyon. Wer die Gegend um den Étang de Thau kennt, ist gleich mittendrin im Geschehen, begleitet die Kriminalisten auf ihrer Spurensuche. Und wer als Neuling kommt, findet im Krimi auch einen guten Reiseführer (erschienen im Oldib Verlag).
0 Kommentare