Auch wenn Gordes, auf der Südseite des Plateau de Vaucluse gelegen, zwischen April und September Ziel Tausender Touristen aus Europa, USA und Asien ist, versprüht das mittelalterliche Dorf immer noch einen unwiderstehlichen Charme. Auf den Felsen aufgepropft wie ein Korken auf die Weinflasche ist Gordes mit seiner gewaltigen Burgfestung weithin sichtbar und zählt ganz sicher zu den meist fotografierten Motiven der Provence. Die wirkliche Schönheit des kleinen Ortes mit weniger als 1700 Einwohnern kommt erst in den Abendstunden zum Vorschein. Als würde sie sich vor dem Ansturm der Fremden fürchten, versteckt sie sich am hellen Tage, weicht vor Menschen in Sandalen und kurzen Hosen, mit Strohhüten und Schirmmützen auf den Köpfen, zurück. Sie verbirgt sich hinter fröhlicher, zuweilen hektischer und zu lauter, Ferienstimmung. Gordes ergibt sich den Reisenden und erträgt ohne Widerspruch den nicht enden wollenden Autokorso auf der Rue de la Combe, rund um den Kreisverkehr, suchend nach einem Parkplatz.
Die Schönheit des Abends
Doch wer am Abend auf der Terrasse eines der kleinen Restaurants an der Rue Baptistin Pica vis-à-vis einen Platz hat – Reservierung empfohlen – und in der Dämmerung an der gewaltigen Mauer des Château de Gordes hinauf- und den beeindruckenden Flugmanövern der Mauersegler zuschaut, den Glockenschlag der Turmuhr wahrnimmt, der entdeckt die Schönheit des Dorfes. Atemberaubende Aussichten präsentieren sich den Gästen der Terrassenrestaurants mit Blick auf den Luberon: Die untergehende Sonne taucht die Bergkette in plastisches Licht. „Bei einem Glas Rosé vergessen wir den Alltag, die globalen Probleme dieser Welt und genießen die Stille – für eine Weile jedenfalls“, beschreibt ein Paar aus Schweden den späten Abend in Gordes.
In gemütlichem Tempo durch die Landschaft
Wir entfliehen der touristischen Hektik des Dorfes am nächsten Tag und begeben uns auf eine kleine Rundreise von 50 Kilometern. Reine Fahrtzeit: gut eine Stunde. Wir wollen eintauchen in die Landschaft, die Sonne spüren und den Duft des Lavendels tief durch die Nase ziehen. Im Juni/Juli zeigt er seine schönste und farbintensivste Blütenpracht. Bis zur Ernte dauert es jetzt nicht mehr lange. Von Gordes aus geht es über die Départementstraßen 102 und 2 in gemütlichem Tempo nach Roussillon. Zeit spielt keine Rolle. Zur Rechten wechseln sich Weinfelder und Obstplantagen ab, dahinter steigt die Montagne du Luberon auf, im Westen der Petit Luberon, im Osten der Grand Luberon. Die Nord-Süd-Querung der beiden Gebirgszüge ist nur durch die Départementstraße 943 möglich, die Bonnieux mit Lourmarin verbindet.
Ocker von der Sonne in Szene gesetzt
Das erste Etappenziel unserer kleinen Tour de Luberon: Roussillon. Es gibt nur einen Grund, dieses schmucke 1300-Seelen-Dorf links liegen zu lassen: Die Suche nach einem Parkplatz erfordert ein hohes Maß an Geduld. Sei’s drum. Belohnt wird die Ausdauer mit einem außergewöhnlichen visuellen Erlebnis. Die Hausfassaden, teils aus dem 17. und 18. Jahrhundert, changieren in den herrlichsten Ockerfarbtönen, von sattem Gelb bis tiefem Rot. Die Sonne setzt die Akzente. Wie gerade frisch gestrichen präsentiert sich das Dorf mit seinem schönen Rathaus, den kleinen Gassen und Lädchen. Eine Filmkulisse par excellence. Vergangenheit, die es lohnt zu konservieren. Denn die Menschen mögen es, fühlen sich wohl und lassen ihre Blicke von zahlreichen Bistro-Terrassen über eine traumhafte provenzalische Landschaft schweifen.
Dafür hatte ein bedeutender Schriftsteller des 20. Jahrhunderts keinen Blick: Samuel Beckett, geborener Ire und 1969 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, tauchte 1942 in Roussillon unter. Er hatte sich 1940 dem französischen Widerstand, Résistance, angeschlossen, wurde 1942 an die Gestapo verraten. Beckett tarnte sich im unbesetzten Süden als Erntehelfer, kehrte 1945 wieder nach Paris zurück. „Ich habe viel gelitten hier, nicht durch die Schuld der Leute, sondern durch die Schuld des Schicksals“, wird Beckett zitiert. Er werde nie vergessen, was Freunde in Roussillon für ihn getan haben, aber er werde nie wiederkommen. Das Haus, in dem Beckett wohnte, existiert noch, befindet sich in Privatbesitz und ist nicht zugänglich.
Zugänglich sind die Ockerbrüche. Der Sentier des Ocres führt durch das einstige Abbaugebiet, gesäumt von üppiger mediterraner Vegetation. Von grün über rotbraun bis golden schimmern die Farbtöne im ewigen Spiel von Sonnenlicht und Schatten. Der Ockerabbau ist seit 1930 Geschichte. Synthetische Farben lösten die natürlichen Pigmente ab.
Dem Himmel ein Stück näher
Weiter geht es nach Bonnieux. Der Weg über die Départementstraßen 149 und 108 ist gut ausgeschildert. Ein Navi tut es auch. Und wer ein bisschen „mutig“ ist, fährt einfach nur in die richtige Richtung und erreicht ebenfalls das zweite Etappenziel – nach Stopps an Weingütern und Lavendelfeldern. Bonnieux ist ein weiteres Village perché wie die auf den Anhöhen thronenden Dörfer mit ihren historischen Stadtbildern und gut erhaltener Bausubstanz aus Mittelalter und Renaissance heißen. Nirgends ist ihre Dichte so eng wie im Luberon. Bonnieux kommt beschaulicher daher als Roussillon – außer am Freitag, dem Markttag. Der Spaziergang durch die malerischen Gassen – die Berglage erfordert ein wenig sportlichen Einsatz – ist eine Zeitreise in die Vergangenheit. Verträumt und verwunschen präsentiert sich das Örtchen mit seinen beiden Kirchen. Und wie jedes Village perché belohnt es den Reisenden mit traumhaften Aussichten auf die Provence. Zum Beispiel vom „Le Rooftop de Bonnieux“.
Ménerbes und Peter Mayle
Die petit Tour de Luberon führt nun über die D 3 nach Ménerbes, natürlich weithin sichtbar und mit mittelalterlicher Vergangenheit. Seine Popularität verdankt das Dorf aber vielmehr einem bekannten Briten, dem sogar nachgesagt wird, dass die Provence erst durch ihn zu einem Reiseziel wurde: Peter Mayle. In den 1990er Jahren eroberten seine humorvollen Romane wie „Hotel Pastis“ und „Ein Jahr in der Provence“ die Welt. Mehr als sechs Millionen verkaufte Exemplare in 40 Sprachen und Filmrechte (Ein gutes Jahr) machten nicht nur den Schriftsteller berühmt, sondern auch Ménerbes und die Provence. Die Lage seines Hauses an der Straße zwischen Bonnieux und Ménerbes beschrieb er in seinen Büchern recht eindeutig. Folge: Die Fans rannten ihm die Bude ein. Mayle ging in die USA, kehrte aber bald wieder in den so geliebten Midi zurück – mit geheimer Adresse . Er starb dort 2018 in einem Krankenhaus.
Von Ménerbes geht es über die D 103 zurück nach Gordes.
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