Hand aufs Herz liebe Frankreich-Kenner: Was fällt Ihnen ganz spontan zu Montpellier ein, welche Sehenswürdigkeit verbinden Sie mit dieser Stadt? Würden Sie dorthin eine Kurzreise planen oder einen Abstecher während Ihres Aufenthaltes im Midi? Zugegeben: Auch für uns war Montpellier kein Ziel – solange nicht, bis wir uns entschlossen, in Sète in den Regionalzug zu steigen und uns diese ständig als Boomtown titulierte Stadt anzuschauen. Es wird nicht der letzte Besuch gewesen sein.
Vom Gare Saint-Roche sind es zu Fuß nur wenige Minuten zum Place de la Comédie. Wir nehmen die Rue de Maguelone und machen Bekanntschaft mit den nach Entwürfen von Designer und Modeschöpfer Christian Lacroix farbenfroh bis knallbunt lackierten Straßenbahnen. Seit 2000 verbinden die modernen Trams auf vier Linien das Herz der Stadt mit den Außenbezirken.
Die Linie 3 bringt die Menschen sogar bis an den nur zehn Kilometer entfernten Strand. Rund 290.000 Fahrgäste zählt der Betreiber täglich. Das entspricht der Einwohnerzahl Montpelliers, die siebtgrößte Stadt in Frankreich. Nachdem der elektrische Straßenbahnbetrieb 1949 eingestellt worden war, kam in den 1990er Jahren der Neubau des heutigen Netzes ins Rollen, angetrieben vom sozialistischen Bürgermeister Georges Frêche (†2010). Dafür sind ihm sicher heute noch die vielen Studenten dankbar. Denn die Hauptstadt des Département Hérault zählt neben Paris, Toulouse und Aix-en-Provence zu den größten Universitätsstädten der Nation. 2018/2019 waren laut Studentenmagazin L’Etudiant 76.400 Studierende an den drei Universitäten und zahlreichen Hochschulen eingeschrieben.
Menschen über 50 können nur Touristen sein
Wie jung die Stadt ist, fällt uns auf, als wir in einem Café auf der Place de la Comédie sitzen. Wer hier älter als 50 Jahre ist, muss ein Tourist sein, mutmaßen wir. 248.000 Einwohner sind jünger als 65 Jahre sagt die Statistik. Wir müssen uns schon sehr bemühen, einen älteren Menschen zu entdecken. So jung wie seine Bewohner ist Montpellier selbst. Die Stadt, 986 erstmals urkundlich erwähnt, kann auf keine antike Vergangenheit zurückblicken. Aber die Medizinische Fakultät ist mit über 800 Jahren eine der ältesten und bis heute eine der bedeutendsten der Welt.
Auf der riesigen Place de la Comédie fühlen wir uns ein wenig wie in Paris. Dafür sorgt die Architektur: Pompöse Stadthäuser im Stil des berühmten Pariser Stadtplaners Georges-Eugène Haussmann geben dem ovalen Platz, der im Volksmund auch „das Ei“ genannt wird, einen glanzvollen Rahmen. Blickfänge sind die Fassade der Oper aus dem 19. Jahrhundert und der Brunnen der „Drei Grazien“ von Bildhauer Étienne Antoine. Die vom Architekten Joseph-Marie Cassien-Bernhard entworfene Oper Comédie wurde 1888 eingeweiht und erinnert stark an die Alte Oper Paris. Sehen und gesehen werden lautet hier das Motto. Menschen flanieren scheinbar ziellos über die Fläche, finden einen Platz in einem der vielen Terrassencafés, jemand spielt bekannte Popsongs auf der Gitarre, Münzen fallen in seinen Hut, Jugendliche flitzen mit Troittinettes über das sandsteinfarbene Pflaster, junge Frauen sind auf Fahrrädern unterwegs. Man bleibt stehen, schaut, redet, geht weiter. Eile scheint ein Fremdwort zu sein. Uns wird schlagartig bewusst: Wir sind im Midi. Selbst in dieser von Forschung, Hightech und Moderne geprägten Stadt wird das Savoir-vivre des Südens gelebt.
Hinein in die verwinkelten Gassen der mittelalterlichen Altstadt
Vom Place de la Comédie spazieren wir über die Esplande Charles-de-Gaulle, eine Grünanlage mit Kunst, Marktständen und Cafés, vorbei am berühmten Musée Fabre bis hin zum modernen Veranstaltungszentrum Corum mit der neuen Oper Berlioz. Zu unserer Linken geht es hinein in das Gewirr der verwinkelten Altstadtgassen. Hier gibt es in historischen Gemäuern flippige wie trendige Lädchen mit Mode und Accessoirs, kleine Bistros und Cafés und einfach ganz viel zu entdecken. Vorbei an der Préfecture, der Verwaltung des Départements, schlendern wir die Rue Foch entlang bis zum Arc de Triomphe, ein Denkmal für Ludwig XIV.. Der steinerne Bogen ist den Pariser Stadttoren nachempfunden. Von dort öffnet sich der Blick nach Westen auf den Place Royal du Peyrou mit dem Château d’Eau. Der Aquädukt Saint-Clément von Ingenieur Henri Pitot, 1754 fertiggestellt, ist quasi ein Nachbau der Pont du Gard. Zurück in der Altstadt lohnt sich eine Pause in einem der kleinen Bistros rund und auf dem lebendigen Place Jean Jaurès – nur einer von vielen schönen Plätzen im Herzen von Montpellier.
Die Universität
Montpellier zählt zu den ältesten Universitätsstädten in Frankreich. Heute gibt es drei Universitäten: Uni I mit den Fakultäten Medizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Recht, Verwaltung und weitere. Uni II lehrt die Naturwissenschaften und Uni III Literatur, Sprachen, Geistes- und Sozialwissenschaften. Neben den Unis gibt es zahlreiche namhafte Hochschulen, die gleichermaßen von Studierenden aus aller Welt besucht werden. Die älteste Fakultät ist die Medizinische. 1220 gründete Kardinal Konrad die Medizinische Hochschule und damit die erste in Frankreich. 1289 wurde sie offiziell Universität. 1529 studierte Nostradamus dort. Noch heute lernen die jungen Frauen und Männer hinter historischen Mauern aus dem 17. Jahrhundert neben der Kathedrale St. Pierre. 2017 wurde im Klinik-Bezirk Nord ein zweites Universitätsgebäude eröffnet. Die Ausbildung in Montpellier genießt weltweit hohes Ansehen.
Das moderne Montpellier
Foto: pixabay
Unter der Ägide des 1977 zum Bürgermeister gewählten Georges Frêche wandelte sich Montpellier zu einer Metropole mit internationalem Einfluss. Das moderne Stadtviertel Antigone entstand östlich des alten Stadtkerns. Architekt war der Katalane Ricardo Bofill. Sein Stil: neoklassizistisch. In den monumental anmutenden Gebäuden sind vor allem Verwaltungen, öffentliche Einrichtungen und Sozialwohnungen untergebracht. Viel Grün und Wasser sorgen für eine angenehme Atmosphäre. Am Ufer des Lez lockt der Marché du Lez als neuestes Szeneviertel ab dem späten Nachmittag das junge Volk an. Der kreative Treffpunkt am Fluss zwischen Altstadt und Strand wartet mit Food- und Fashion-Trucks auf. Streetart und Vintage-Läden schaffen ein einzigartiges Ambiente.
Montpellier richtet stets den Blick gen Zukunft und weitet sich Richtung Meer aus. Die Metropolregion zählt heute rund 460.000 Einwohner, und es werden monatlich mehr. Mit spektakulären Neubauten wie dem Arbre Blanc, dem Weißen Baum, des japanischen Architekten Sou Fujimoto setzte die Stadt im Jahr 2019 ein neues Wahrzeichen für den Wohnungsbau. Gut bezahlte Jobs zum Beispiel in der Medizintechnik und anderen Hightech-Bereichen sowie zahlreiche Start-ups ziehen junge Leute nicht nur aus Frankreich, sondern aus ganz Europa an.
0 Kommentare