Es ist jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis, wenn die Reise Mitte Juni aus dem Ruhrgebiet Richtung Frankreich geht. Ab Montélimar steigt der Adrenalinspiegel. Nur noch wenige Kilometer auf der Autoroute du Soleil (A7) und dann tauchen sie auf, die ersten blauen Flecken: Lavendel. Je nach Einfall des Sonnenlichts und dem Fortschritt der Blüte leuchten sie zwischen blass- und tief-blau. Der Wind trägt den süßen Duft der Pflanzen ins Wageninnere. Vom Himmel strahlt heute ein ganz besonders intensives Blau. Wir haben den Süden erreicht, und der Sommer hat Einzug gehalten im Midi. „Das blaue Gold“ der Provence wird an den nächsten Tagen unser ständiger Begleiter sein: ein Fest für Augen und Nasen. Und wenn die Sonne gold-rot untergeht, den Horizont in ein farbenprächtiges Gemälde verwandelt, wird ein zartes Rosé in den Weingläsern funkeln.
Das Musée de la Lavande
Die Reise führt uns in das Département Vaucluse. Dort, am Fuße des Mont Ventoux, in den Ebenen des Luberon und in der Hochprovence erstrecken sich die fotogensten Lavendelfelder Südfrankreichs. Von Mitte Juni bis weit in den August hinein strahlen sie in den spektakulärsten Blau- und Violetttönen. Die Pflanzen stehen in voller Blüte. Je höher das Anbaugebiet liegt (zwischen 600 und 1500 Metern), je später setzt die Blütezeit ein. Als Startpunkt einer Lavendeltour bietet sich ganz in der Nähe von Cavaillon das Musée de la Lavande in Coustellet an der D2, der Straße nach Gordes, an.
In diesem hübschen Museum, das Georges Lincelé im Jahre1991 gründete, erfährt der Besucher alles, was er über den echten Lavendel, den Lavande fine, wissen möchte. In dem typisch provenzalischen Haus, umgeben von Lavendelfeldern, alten Olivenbäumen und Pinien wird in einem interessanten und kurzweiligen Film der Zyklus des Lavendels erzählt: vom Einsetzen neuer Pflanzen im März, der intensiven Pflege der Felder, der maschinellen Ernte ab Ende Juli, der Gewinnung des teuren Lavendelöls und der Vorbereitung der Anbauflächen für das nächste Frühjahr. Seit 1890 hat sich die Familie Lincelé dem Anbau und der Destillation des Lavendels verschrieben. In eigener Produktion stellt sie Kosmetik, Tees, Öle, Seifen und andere Lavendelerzeugnisse her. Beim Rundgang durch die Ausstellungsräume entdeckt man alte Arbeits- und Destilliergeräte. Am Ende probieren wir im Garten einen Lavendeltee und sind gestärkt für die Weiterfahrt nach Gordes (8 Kilometer).
Von Gordes zur Abbaye de Sénanque
Nach einer Mittagspause in dem hübschen Bergdorf (siehe: Ein Apéritif mit spektakulärer Sicht) machen wir uns auf zum Kloster Sénanque, der Postkartenansicht aus der Provence schlechthin (siehe: Stille rund um die Abbaye Notre-Dame de Sénanque). Die Klosteranlage ist umgeben von einer traumhaften Blütenpracht und bietet wunderschöne Fotomotive.
Hier, wie auf allen Lavendelfeldern, gilt übrigens: Betreten verboten – auch wenn nicht immer Verbotsschilder darauf hinweisen. Die Blüten sind sehr empfindlich, die Bienen lassen sich ungern stören. Vor allem aber muss jeder wissen, dass Lavendel eine Nutzpflanze ist, ein Agarprodukt, das geerntet und verarbeitet wird. Die hübschen Lavendelsträuße, die wir auf jedem Markt in der Provence kaufen können, sind eigentlich nur ein Rest-Produkt.
Eine andere Route führt von Gordes aus gut 30 Kilometer über die D60/D943 nach Sault. Das pittoreske, auf einem Felsvorsprung gelegene Dorf zu Füßen des Mont Ventoux ist von Lavendelfeldern umgeben. Der charmante Ort lädt seine Gäste ein, auf einem vier Kilometer langen Lehrpfad die Symbolpflanze der Provence genauer kennen zu lernen. Im Hochsommer findet ein großes Fest rund um den Lavendel statt.
Die Touristik-Büros, office de tourisme, halten Tipps und Informationen über eine Vielzahl von Lavendelrouten mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß bereit.
Der süßeste Honig
Die Lavendelblüten sind voller süßem Nektar, den die Bienen lieben. Deshalb stellen viele Imker ihre Stöcke gern in Nähe der Felder auf, am liebsten sogar dort, wo es noch wilden Lavendel gibt. Der Honig ist einer der besten und äußerst aromatisch. Eine Biene schafft es innerhalb einer Stunde bis zu 700 Blüten anzufliegen. Die Lavendelproduzenten sehen es gerne, wenn das summende Volk um und in ihren Pflanzen herumschwirrt. Denn, wenn die Bienen den Nektar aus der Blüte gesogen haben, verschließt sich sich und lässt kein Sekret mehr austreten. So bleibt der Zucker in der Pflanze, der wichtig ist für ein hochwertige Destillat.
Echter Lavendel und Lavandin
Seit der Antike wird Lavendel in der Provence angebaut, geerntet und als Heilpflanze genutzt. Als im 18./19. Jahrhundert die Parfümfabriken in Grasse ihre Produktion aufnahmen, konzentrierten sich die ersten Bauern auf den Anbau von Lavendel. Die Begehrlichkeit der Damenwelt an den schönen Düften aus edlen Kristall-Flacons wuchs unaufhaltsam. Der Bedarf an den wertvollen Lavendelessenzen als Basis für die luxuriösen Parfüms konnte kaum mehr gedeckt werden. Doch der Anbau des Lavendels aus der Hochprovence wollte in den tieferen Lagen nicht gelingen.
Letztlich war es ein Zufall, dass der an Boden und Klima weniger anspruchsvolle Lavandin zu Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt und kultviert wurde. Der stark duftende, aber vor allem deutlich ertragreichere Lavandin ist Dank der Biene eine natürliche Kreuzung zwischen dem echten Lavendel des Hochlandes und dem Speik-Lavendel. Heute macht er in Frankreich fast 75 Prozent des gesamten Anbaus aus.
Seit 1981 trägt der Lavendel aus Südfrankreich das AOC-Symbol (Appellation d’Origine Contrôle). Die kontrollierte Herkunftsbezeichnung garantiert die Echtheit, denn mittlerweile wird Lavendel in vielen klimatisch geeigneten Regionen Europas angebaut. Dabei handelt es sich in erster Linie um Lavandin, denn im Gegensatz zum echten Lavendel, der alle zwei bis vier Jahre geerntet wird, kann er jährlich geschnitten werden. Aus 100 bis 120 Kilogramm echtem Lavendel wird ein Kilogramm Öl gewonnen, aus der selben Menge Lavandin immerhin drei Kilogramm.
„En vogue“ als reine Zierpflanze für den Garten im Norden
Außerhalb seiner mediterranen Heimat ist Lavendel als reine Zierpflanze längst in Mode. Iris Blotz, Inhaberin der Garten- und Landschaftsgärtnerei Dobirr-Blotz in Oberhausen, weiß auch warum: „Ganz einfach, durch die vermehrte Reisetätigkeit ab den 1970er Jahren. Besonders den Engländern hatte es die Pflanze angetan, und sie begannen, Lavendel zu kultivieren. Die Briten beherrschen schon von jeher eine hohe Gartenkunst. Sie schaffen sich zum Beispiel Räume für ihre Urlaubslandschaft zu Hause.“ So waren es also wieder einmal die entdeckungsfreudigen Leute von der Insel, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts gern die Winter an der Französischen Riviera verbrachten und at home auf die sinnliche mediterrane Pflanze nicht verzichten wollten.
Iris Blotz kann sich noch gut erinnern, als ihre Eltern, die Gründer der Gärtnerei, in den 1980er Jahren nach Italien reisten, um erste Pflanzen zu kaufen. „Heute werden zahlreiche Lavendelsorten in den Niederlanden und Dänemark gezüchtet. Ganz nach dem Wunsch des Kunden. Kompakt, eher kurz und dicht muss der Halbsträucher sein, ohne knorriges Altholz, und vor allem muss er früh blühen.“ Die violette Farbe des Lavendels, die im Sonnenlicht so vielfältige Schattierungen zeigt, sein Duft und nicht zuletzt seine Bienenfreundlichkeit, machen die mittlerweile zahlreichen Sorten „en vogue“ für den Garten im Norden Europas, aber eben als reine Zierpflanze.
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