Nizza! Ich weiß nicht mehr, wann ich zum ersten Mal hier war. Ich weiß aber noch genau, wie überwältigt ich war. Es war ein Tagesausflug von Roquebrune aus, nur wenige Kilometer entfernt. Das Auto parkte ich auf einem unbefestigten Platz am Alten Hafen. Heute ist er längst asphaltiert und mit Parkautomat und Schranken versehen. Ich ging die wenigen Meter hinauf auf den Quai des États-Uni, der nahtlos in die Promenade des Anglais übergeht. Ich blieb stehen, um dieses unvergleichliche Szenario aufzunehmen: rechts die imposanten Gebäude aus der Belle Époque, in denen sich die luxuriösesten Hotels befinden, links der Stadtstrand mit seinen eleganten Stränden wie dem Plage Beau Rivage, Plage Opera oder Lido Plage und davor das im Sonnenschein glitzernde blaue Meer. Voilà!
Ich liebe Nizza heute wie damals. Und als mir vor gar nicht langer Zeit das Büchlein „Nizza – mon amour“ von Fritz J. Raddatz geschenkt wurde, liebe ich die Schöne am Mittelmeer noch viel mehr.
Frankophil und selbstbestimmt bis ans Lebensende
„Stolz, verschwiegen, rätselvoll und lasterhaft. Unergründlich wie jede schöne Frau. La ville ist weiblich.“ So beschreibt Fritz J. Raddatz, einer der einflussreichsten deutschen Literaturkritiker, Nizza – Nice – wo er viele Jahre lebte. Das Büchlein, 2010 im Arche Verlag erschienen, sei eine Liebeserklärung an die Stadt schrieben die Rezensenten. Wohl wahr!
Fritz J. Raddatz wurde 1931 in Berlin geboren. Die Mutter, Pariserin aus wohlhabendem Hause, starb bei seiner Geburt. Sie ist vielleicht der Schlüssel für die Frankophilie des Sohnes, der 1986 vom damaligen französischem Staatspräsidenten Francois Mitterrand den Orden „Officier des Arts et des Lettres“ erhielt. Eine Ehrung für Menschen, die sich durch ihr Schaffen in Kunst oder Literatur in Frankreich ausgezeichnet haben. Raddatz, von 1960 bis 1969 stellvertretender Leiter des Rowohlt-Verlags und von 1977 bis 1985 Feuilletonchef der „Zeit“, beendete sein Leben 2015 im schweizerischen Pfäffikon selbstbestimmt. Er begründete den legal begleiteten Suizid mit den Worten „ich will nicht warten bis der Schlaganfall kommt“.
Ein wundervoller Nachlass für Frankreich-Liebhaber
Die Nizza-Impressionen von Fritz J. Raddatz sind ein wundervoller Nachlass für alle Frankreich-Liebhaber. Er beschreibt nicht nur die äußerliche Schönheit der Stadt, den Luxus und Reichtum an der Côte d’Azur, die einst die Engländer als warmes Winterquartier entdeckten, sondern sieht auch hinter die Fassade. Dort legt er teilweise schonungslos das Dekadente, die Oberflächlichkeit, die geistige Armut der betuchten Gesellschaft offen – ehrlich, aber ohne zu verletzen.
Raddatz nimmt den Leser mit in die Welt der Maler, in die Museen und Kunstsammlungen, auch außerhalb Nizzas. Kritisch setzt er sich mit Künstler und Werk auseinander, ohne zu langweilen, denn er weiß, wann es reicht. Er sei „rasch kopfsatt“, sagt er. „So folge ich lieber der Einladung eines Freundes zum Abendessen nach Nizza. Nach der Augenlust die Gaumenlust“. Picasso kann also warten. Denn: „In Frankreich gehören zur Kultur – ebenbürtig der Literatur, der Oper, der Malerei – zwei Bereiche, die bei uns eher als weggewedelte Nebensächlichkeiten abgetan werden: Mode und Essen.“ In der Tat!
Fritz J. Raddatz begibt sich mit dem Leser natürlich auch auf die Spuren der Exil-Literaten. Für sie, die vom NS-Regime Verfolgten, war die Côte d’Azur Zufluchtsort und für die deutsche Literatur ein Segen.
Am Ende sagt Raddatz „möge Nizza mir verzeihen, wenn ich so manche altersfaltige Kirche … nicht erwähnt, kleiner Sonderbarkeiten … nicht gedacht, viele der jugendbeschwingten Clubs nicht besucht, gern frequentierte Restaurants nicht genannt habe“. Auch wenn seine Liebeserklärung an Nizza mittlerweile elf Jahr alt ist, ist sie aktuell. Denn: Wer Nizza verstehen will, sollte „Nizza – mon amour“ lesen. (im April 2022 neu aufgelegt/Arche Verlag)
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