Pastis, der Kräuter-Anis-Schnaps gehört zur Provence wie der Lavendel, das Olivenöl, die Sonnenblumen, der Rosé und der Mistral. Seine Geschichte ist jung: 1915, nachdem der vermeintlich süchtig machende Absinth verboten wurde, destillierten provenzalische Bauern zunächst geheim und illegal einen ähnlichen Kräuterschnaps als Ersatz und nannten ihn Pastis. Heute wird er besonders im Midi getrunken. Gerne schon am Vormittag, und bei keiner Boule-Partie darf er fehlen. Pastis: ein Stück Kultur in Frankreich.
Hoch oben in der Provence, wo der Winter besonders rau und kalt ist, und der Nordwind extrem unangenehm wird, liegt auf bis zu 900 Metern der Ort Forcalquier. 5200 Menschen leben in diesem Bergdorf mit seinem rustikalen Charme. Im Osten die Montagne de Lure, im Westen der Luberon, und oben drüber der klarste Himmel in ganz Europa. „Hier gibt es weder Umwelt- noch Lichtverschmutzung“, sagt Antoine Robert, Mitglied der Besitzer-Familie der Distilleries et Domaines de Provence, verantwortlich für den Export von Pastis, Absinth (seit 1998 wieder erlaubt) und typischer Kräuterliköre aus der Provence. Und tatsächlich: Wir haben noch nie so viele Sterne gesehen, zum Greifen nah. Nur selten durchbricht das Licht eines Autoscheinwerfers das Dunkel der Nacht. Und es ist still, sehr still.
Kalte Nächte und heiße Tage
„Durch die kalten und klaren Nächte sowie heißen und sonnigen Tage gedeihen hier oben Kräuter von besonders hoher Qualität. Die Trockenheit bewirkt, dass die Pflanzen große Mengen an ätherischen Ölen produzieren. Nur so können sie das extreme Klima überstehen“, erklärt Antoine Robert. Die meisten Kräuter, die für den Pastis verwendet werden, sind wild gewachsen. „Wilde Pflanzen sind einfach erheblich wertvoller als kultivierte.“ Mehr als 65 verschiedene Kräuter kommen in den Schnaps. Die Süßholzextrakte müssen eine vorgeschriebene Mindestmenge aufweisen, denn sonst ist der Pastis kein Pastis – wie Pernod. Im „Henri Bardouin“ stecken nur Kräuter aus der Region um Forcalquier. Lediglich eine Zutat wird eingeflogen: Sternanis aus Vietnam. Die Rezeptur des weit über Frankreich hinaus beliebten Getränks bleibt ein streng gehütetes Geheimnis der Familie.
Ein Denkmal für Henri Bardouin
Mehr als tausend aromatische Pflanzen gedeihen im Umkreis von 40 Kilometern auf 400 bis 1800 Meter Höhe. Brennerei-Mitarbeiter und Naturliebhaber Henri Bardouin war überwältigt von diesem immensen Angebot. Er entwickelte sich zum wahren Kräuterkenner und kreierte den Pastis. 1946 wurde er Mitinhaber der 1898 als Destillerie de Lure gegründeten Brennerei und kaufte sie 1962 ganz. Ab 1974 verbesserte ein junges und motiviertes Team mit Alain Robert die Schnäpse und Liköre weiter. Robert übernahm die Destillerie 1990, gab dem Pastis später den Namen Henri Bardouin und setzte seinen Freund damit ein Denkmal.
Vier Meister hüten das Geheimnis
Heute ist der Pastis weltberühmt. „Viele Deutsche wollen Henri Bardouin trinken“, sagt Antoine Robert und führt uns durch die Brennerei, wo 40 Mitarbeiter beschäftigt sind – in der Mehrzahl Frauen. In der für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Produktionsstätte riecht es betörend nach frischen Kräutern. Doch das ist die einzige Verführung. Was wir sehen, ist zunächst das Labor von Likörmeisterin Hélène. Seit 40 Jahren sorgt sie für die richtige Mischung. Es ist steril, könnte auch ein medizinisches sein. Ja wenn, wenn da der Duft der Pflanzen, die Kräutermeister Sebastien sorgfältig auswählt, nicht wäre. Wir gehen weiter in die große Halle mit den riesigen Stahltanks. Hier werden die wertvollen Öle und Aromen schonend aus den Pflanzen extrahiert – die Mazeration, gesteuert und überwacht von Lucie. In Spezialbehältern werden die Mazerate danach gelagert bis Destilliermeister Yves Rafatelli das Endprodukt zaubert. Wir dürfen auch in sein Reich schauen, aber Antoine verrät keine Details. „4 Meister, 1 Geheimnis“ heißt es nicht ohne Grund in der Werbung.
An der Abfüllanlage begegnet uns Firmenchef Alain Robert. Er schaut nach dem Rechten und will ein paar Worte mit den deutschen Journalisten wechseln. Er ist sichtlich stolz, auf die weltweite Anerkennung seines Pastis, den es inzwischen auch als Grand Cru gibt. Seine Herstellung bleibt ein Geheimnis. „Es wird in der Familie bleiben und von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt Antoine Robert und lädt uns zum Abschluss zu einem Gläschen Pastis ein – einem Stück Frankreich-Kultur.
Die Haute-Provence in Pierre Magnans Romanen
Pierre Magnan (1922-2012) beschreibt in seinen Kriminalromanen, die in den 1970er und 1980er Jahren spielen, die zuweilen raue Haute-Provence. Auch, wenn die Geschichten in die Vergangenheit führen, spürt der Leser, der die Haute-Provence einmal besucht hat, eine authentische Atmosphäre und begleitet Kommissar Laviolette nur allzu gerne bei seinen Ermittlungen. „Das Zimmer hinter dem Spiegel“ von 1976 wurde mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Pierre Magnans bekannteste Kriminalgeschichte „Das ermordete Haus“ von 1984 erhielt ebenfalls einen Preis und wurde verfilmt. Der Schriftsteller wurde in Manosque geboren, wo er zur Schule ging und als Schriftsetzer arbeitete. Später lebte er im nur wenige Kilometer entfernten Forcalquier.
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