Das charmante Küstenstädtchen Mèze. Foto Huda

Liebe auf den zweiten Blick: Mèze

6. Juli 2021 | 1 Kommentar

Krimi-Autorin Johanna Huda entdeckte vor 24 Jahren die auch heute noch beschauliche Küstenstadt in der Nähe von Montpellier und rümpfte die Nase. Doch längst ist die Region um Mèze im Sommer ihr Ferienparadies. Und „Capitaine Leroux“ spürt dort dem Verbrechen nach.

Ich möchte es nicht beschönigen. Als ich zum ersten Mal auf der Autobahn 9 die Ausfahrt 33 „Sète“ nahm und Richtung Mèze fuhr, war ich entsetzt: links und rechts der Straße Fabrikhallen. Vor dem Étang de Thau mit seinen geordneten Austernbänken und dem Berg von Sète im Hintergrund drängte sich struppiges Gebüsch. Die Avenue de Montpellier, die schnurstracks zur kleinen Hafenstadt Mèze führt, präsentierte sich keineswegs glamourös. Verblasste Häuserfassaden, abgeblätterte Farben auf morschen Holztoren, unscheinbare Bretterbuden, in denen Muscheln und Austern angepriesen wurden. Wo war ich gelandet?

Auch die Straße nach Montagnac weckte damals noch keine Begeisterung in mir. Den Weg zu unserem Quartier wies uns ein verrostetes Schild, das Symbol einer Weinflasche. Die Achsen unseres Autos litten erbärmlich, als wir versehentlich in eines der vielen Schlaglöcher rumpelten. Wir glaubten, wir hätten uns verirrt, bis wir endlich den Eingang zu unserem Paradies, dem Château-Les-Sacristains, fanden. Vor genau vierundzwanzig Jahren bogen wir zum ersten Mal in diese Allee ein, die zu unserem Feriendomizil führte.

Entspannt und freundlich

Seitdem hat sich Mèze einem Wandel unterzogen. Etliche Häuser erfreuen sich eines neuen, farbenprächtigen Anstrichs. Rund um den kleinen Hafen reihen sich Lokale aneinander, die mittags und abends neben Muscheln und Austern verschiende Menüs anbieten. Ein neues Wahrzeichen, der rostige Fisch, lenkt den Blick auf den Étang. Auf Katamaranen kann man das Leben und Arbeiten auf dem Étang de Thau erkunden, sich die Austernbänke aus der Nähe anschauen, bis nach Sète schippern.

Der rostige Fisch von Mèze. Foto: Huda

Entspannt und freundlich geht es hier zu, ein Stück weit weg von der mondänen Côte d’Azur. Wer Prominenz erwartet, hat sich im Reiseziel geirrt. Am Ende der Straße lädt das Sun Beach Café zu einem abendlichen Drink mit Blick auf den Étang, auf Sète und den winzigen Strand von Mèze ein, der sich inzwischen gemausert hat. Urige, knorrige Bäume spenden Schatten. Die Stadtverwaltung ließ kübelweise Sand ankarren, so dass die kleinen Gäste Burgen bauen können.

Genüsse auf dem Markt

Donnerstags und sonntags füllen typisch französische Marktstände das Städtchen mit Leben. Nichts besonderes für Südfrankreich, trotzdem erweckt der Anblick prallgefüllter Knoblauchknollen, reifer Aprikosen, himmlisch duftender Melonen die Vorfreude auf kulinarische Genüsse, von denen wir in unserem Breitengrad träumen. In der Markthalle (montags geschlossen) dreht der Metzger das Fleisch vor meinen Augen durch. An den Kiemen der Fische kann ich erkennen, dass sie morgens gefangen wurden. Nach dem Einkauf gehört das Kochen mit den erworbenen Schätzen zum Urlaubserlebnis.

Am Strand vom Mèze. Foto Huda

Erst beim dritten, vierten Besuch in Mèze habe ich zusammen mit meinem Mann weitere Kostbarkeiten der Stadt entdeckt. Die Chapelle des Penitents fanden wir ebenso zufällig wie den kleinen Bouleplatz am Chemin de l‘Étang. Am Friedhof fuhren wir zigmal vorbei, bevor wir einen Spaziergang wagten und uns auf den Grabsteinen die Bilder der ehemaligen Bewohner der Stadt anschauten.

Von Mèze aus kann man bequem die Großstadt Montpellier erreichen, Pézenas, die Stadt Molieres, besuchen oder zum anderen Ufer des Étangs nach Sète wechseln.

Die Geschichte der Stadt

Der Boeuf de Mèze wird in jedem Jahr während der Fête de Mèze von mehreren jungen Männern durch die Stadt getragen. Der Legende nach verhalfen zwei Ochsen einer armen Familie zu Ansehen und Reichtum. Das Languedoc war damals kaum besiedelt. Außer Ackerbau und Fischerei gab es nichts. Dank der Ochsen konnte die Familie einen großen Hof aufbauen. Die Ansiedlung bildete den Grundstein für das spätere Mèze. Die Familie behandelte die Tiere als gleichwertige Mitglieder. Als sie starben, behielten sie zum Andenken ihr Fell. Es wurde gegerbt und auf ein Gestell gespannt. Noch heute wird dieses, mittlerweile erneuerte Gestell, der Boeuf de Mèze, bei jeder lokalen oder religiösen Festlichkeit durch die Stadt getragen. Trommler gehen dem Boeuf voraus. Die Zuschauer spenden dem Ochsen Geld, Brot oder Wein. Zum Ende des Umzugs wird der immer wilder werdende Ochse auf dem Marktplatz getötet.

Magische Anziehungskraft

Zu Beginn des Sommers zieht es mich magisch in den Süden. Wie lange haben wir diesmal gewartet, bis wir uns vor die Tür wagen durften, endlich wieder über den Tellerrand schauen, Grenzen überwinden, Neues erkunden und entdecken, Bekanntes wiedersehen.

Als wir endlich in die langgezogene Einfahrt zum Château-Les-Sacristains einbiegen, schleichen sich zwei Freudentränen in meine Augen. Im Süden bei Montpellier, in der Nähe von Sète, zwischen den Weinbergen von Mèze und Montagnac ist die Luft eindeutig besser als zu Hause. Diese seidige Luft. Am frühen Morgen mit einem Hauch vom Étang de Thau und Pinien, am Mittag leidenschaftlich feurig und am Abend als sanfte Brise. Die laue Nachtluft verführt zum Plaudern bei einem kräftigen Rotwein. Davon träume ich das ganze Jahr über.

Wir genießen die unvergleichliche Ruhe auf dem Anwesen des Châteaus, die Abwesenheit von Auto-, Bahn- und Flugzeuglärm. Tauben gurren, Mauersegler schnappen nach Mücken, hoch oben kreisen Milane und Falken. Nachts schreit ein Käuzchen, manchmal ruft der Pfau nach seinen Liebsten, Kies knirscht unter den Füßen der späten Heimkehrer, die sich in den umliegenden Städtchen mit den Speisen des Landes verwöhnt haben.

Die Vielzahl der Düfte, kein einziger davon weht mir zu Hause so intensiv um die Nase: Jasmin, Pinien, Zypressen, von der Sonne beschienener Oleander, Geißblatt und die zarten Blüten des Olivenbaums. Auf dem Markt breiten sich die Früchte des Landes vor uns aus. Der Geschmack der Tomaten, Aprikosen, Honigmelonen – diese Aromen kosten wir zu Hause niemals.

Der Abend: das verblassende Blau, bis schließlich die Sterne die Oberhand über den Himmel gewinnen. Wenn meine Augen zu Hause drei Sterne erhaschen, preise ich mich glücklich. Hier im Süden ertrinke ich in Sternbildern, in funkelnden Diamanten am nachtblauen Firmament.

Sicher, ich nehme mich mit. Meine Sorgen, meine Ängste, meine Macken und meine Vorlieben, sie ändern sich nicht. Aber das Schwere, das Nordische, das Dreimalgenaue, das weicht ein wenig auf. Ich werde nachgiebiger, lege nicht jedes Wort auf die Goldwaage und lasse den lieben Gott eine gute Frau sein.

Johanna Huda

1 Kommentar

  1. Liebe Hanna, nach der Lektüre möchte ich am liebsten gleich morgen mit dem Wohnwagen losfahren! Das hast du wunderbar beschrieben 👏👏👏. Einfach klasse!!!

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