Die Bar-Tabac, ein Stück französische Lebenskultur.

Genuss und Gespräche in der Bar-Tabac von Patrick

2. Oktober 2021 | 1 Kommentar

Keine andere Institution in Frankreich ist so typisch französisch wie die Bar-Tabac. Ob im vornehmen wie trendigen Paris, in der stürmischen Bretagne, im sanften Burgund, im robusten Jura oder im tiefen Süden: Sie ist Inbegriff der unverwechselbaren französischen Lebensart „savoir-vivre“. Ein Besuch in der Bar-Tabac des Alpilles in Saint-Rémy-de-Provence.

Vormittags im Juli: Die Sonne strahlt vom ewig blauen Himmel. Hin und wieder lässt ein kaum spürbarer Windhauch die Kronen der uralten Platanen am Boulevard Victor Hugo ein klein wenig erzittern. Einige vertrocknete Blätter wälzen sich im Rinnstein. Im verfallenden Haus mit der verrosteten Hinweistafel „Café des Arts“ springt eine Katze mit akrobatischen Bewegungen mutig und elegant von Fenstersims zu Fenstersims. Schließlich gelangt sie aufs Dach. Ihre zirkusreife Einlage lässt den Kellner auf der anderen Straßenseite nur kurz aufmerksam werden. Er lehnt mit verschränkten Armen an der geöffneten Glasschiebetür der Bar-Tabac des Alpilles und genießt die Ruhe vor dem Sturm. Drinnen an der Theke lassen sich zwei Mitarbeiter der französischen Elektrizitätswerke EDF ihre „petits cafés“ schmecken. Draußen auf der Terrasse sitzt ein älterer Herr bei einem Pastis und liest die neuesten Nachrichten in „La Provence“. Eine fiktive Beschreibung? Nein, hier im Süden Frankreichs schönste Realität.

Bodenständig und einfach köstlich

Es dauert nicht lange, und die Bar-Tabac füllt sich. Der Kellner hat längst seine Ruheposition aufgegeben und serviert die ersten Getränke. Vom „buffet“ im Gastraum verteilt sich bereits der unverwechselbare Duft einer stundenlang geschmorten Lammkeule mit Knoblauch, Rosmarin und Thymian – die Spezialität des Hauses. Patrick, Chef und Patron der Bar-Tabac, säbelt mit Hingabe dünne Scheiben von der Keule. Dazu gibt es ein köstliches Kartoffelgratin und Salat mit viel Knoblauch. Unverkennbar: die Aromen der Provence.

Chef und Patron mit Leidenschaft: Patrick

In Windeseile sind alle Plätze besetzt. Franzosen und Touristen aller Altersklassen erzeugen mehr oder weniger gestikulierend ein munteres Sprachen-Durcheinander. Der Kellner jongliert volle Tabletts zwischen den Tischreihen hindurch. Grenzüberschreitende Konversationen entwickeln sich unter den Gästen. Die Stimmung ist mehr als heiter – dafür sorgen Patrick, der sehr gut Deutsch und Englisch spricht, und sein ambitioniertes Team. „Bei mir ist und bleibt alles ganz klassisch“, sagt der Chef, der u.a. in der Schweiz gearbeitet hat, und trifft so genau den Geschmack seiner Gäste. Die Provenzalen lieben ihre Tradition, und die Reisenden genießen die französische Art zu leben.

Authentizität statt trendigem Schnickschnack

Nach einer Speisenkarte fragt in der Bar-Tabac niemand. Auf Tafeln sind die Tagesspezialitäten geschrieben, und die Kellner wissen genau, was dem Chef heute ganz besonders gut gelungen ist. Mal einen Sonderwunsch? Kein Problem. An den alten Tischen, am Abend oft mit weißen Tischtüchern gedeckt, auf den Stühlen mit den arg strapazierten Sitzflächen, oder den Bänken draußen auf der Terrasse direkt am Boulevard, wo die Linienbusse nur wenige Zentimeter vorbei düsen, fühlt man sich wohl. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“ fällt uns Goethes Zitat aus „Faust“ ein. Wohl war: Trendiger Schnickschnack ist hier in der Bar-Tabac überflüssig. Frische Produkte und Authentizität sind angesagt. Was zählt, ist das kalte Bière pression, der kühle Rosé, der Pastis, das Gigot, die Crème brulée und vor allem die gute Stimmung. Voilà!

Am Abend schwungvoller Jazz.
Provenzalische Spezialitäten.

Nach der Mittagszeit wird es etwas ruhiger. Aber nur kurz, denn schon bald kommen die ersten Gäste zum Apéro. Patrick serviert dazu gern auf Kosten des Hauses ein wenig Tapenade, geröstetes Brot oder ein bisschen Wurst oder Schinken. Seine Gäste sind es ihm wert, und die wissen es zu würdigen. Da bleibt es dann nicht nur bei einem Gläschen. Schnell hat man sich verplaudert und entschieden, das Abendessen zu bestellen.

  • Bar-Tabac des Alpilles, 21 Boulevard Victor Hugo, 13210 St. Rémy-de-Provence, 04 90920217

Ein Teil französische Lebenskultur

Die Bar-Tabac, von morgens bis abends geöffnet, meist an sieben Tagen die Woche, ist damals wie heute ein zentraler Treffpunkt im Stadtviertel oder Dorf. Hier nimmt man schnell einen „petit café“ an der Theke, genießt den Feierabend bei einem frisch gezapften Bier mit Freunden oder ein preiswertes Tagesgericht der regionalen Küche. Ihren Namen hat die Bar-Tabac, die eigentlich ein kleines Bistro ist, weil sie das exklusive Recht besitzt, Tabakwaren zu verkaufen. In Frankreich dürfen weder Lebensmittelgeschäfte noch Warenhäuser oder Tankstellen Zigaretten und Zigarren verkaufen. Auch Automaten sind verboten. Äußeres Merkmal der Bar-Tabac ist die rote Leucht-Zigarre, die Karotte „carotte“.

Ein großes Angebot an Tababwaren.

Patrick hält ein reichhaltiges Sortiment an Tabakwaren bereit. Deshalb kommt es vor seiner Bar-Tabac auf dem Boulevard Victor Hugo des Öfteren zu einem kleinen Verkehrsstau. Wenn die Raucher ihre Autos mal kurz mitten auf der Straße parken, um sich Nachschub zu besorgen, drückt sogar die Gendarmerie ein Auge zu. Auch die so ausgebremsten anderen Autofahrer nehmen es gelassen hin. Und für auswärtige Touristen ist es ein nettes Schauspiel.

Geraucht werden darf im Gastraum einer Bar-Tabac allerdings auch nicht mehr. 2008 führte Frankreich ein generelles Rauchverbot für die Gastronomie ein. Das führte u.a. zum Sterben vieler Bistros und Bar-Tabacs. Auch die Tatsache, dass viele junge Menschen sich lieber über die sozialen Netzwerke statt von Angesicht zu Angesicht austauschen, beschleunigt den Niedergang der typischen französischen Gaststätten: Facebook statt Pastis. Ein großer Verlust, denn längst gehören die Bar-Tabac, Bistros und Brasserien zum französischen Kulturgut. Die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron ist über diese Entwicklung nicht glücklich und startete Ende 2019 eine 150-Millionen-Euro-Rettungsaktion. Engagierte Menschen, die vor allem in Dörfern ein Bistro oder eine Bar-Tabac eröffnen, werden damit unterstützt. Die Initiative des Staates richtet sich gegen die soziale Isolation. Denn oft ist die kleine und einfache Gaststätte besonders für ältere Menschen der einzige Ort, um Kontakte zu knüpfen.

Die Bar-Tabac im Film

In zahlreichen französischen Filmen ist die Bar-Tabac ein wichtiger Schauplatz und spiegelt das soziale Leben in Stadt und Dorf wider. Meine Tipps:

„Die fabelhafte Welt der Amélie“ mit Audrey Tautou in der Hauptrolle (2001)
„Ein Sommer in der Provence“ mit Jean Reno (2014)
„Ein Tisch in der Provence“ mit Friederike Linke (TV-Vierteiler ZDF 2020)

1 Kommentar

  1. Liebe Frau Lukassen,
    wir haben Mitte Oktober in dem von Ihnen beschriebenen Bistro neben Ihnen gesessen und dabei von Ihrem Blog erfahren. Ihre Artikel haben uns sehr angesprochen, da sie unterhaltsam geschrieben sind und umfangreiche Informationen bieten. Sie inspirieren uns für weitere Besuche in der Provence.
    Dina und Hubertus von Krogh

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