Obwohl wir ja eigentlich das süße Nichts-Tun im Midi pflegen – dazu zählen allerdings auch unsere zahlreichen Erkundungstouren – haben wir dennoch, wenn wir in Saint-Rémy weilen, mittwochs irgendwie Stress. Das Frühstück wird deutlich eiliger als üblich eingenommen und statt einen Tagesplan zu entwerfen wird eine Einkaufsliste geschrieben. Spätestens um zehn Uhr sind wir mit dem Einkaufskorb zu Fuß unterwegs in die Altstadt. Schon als wir vom Chemin Canto Cigalo nach rechts in den Chemin Saint-Joseph einbiegen, wissen wir: Es ist Markttag. Genervte Autofahrer sind auf der verzweifelten Suche nach einem Parkplatz. Die sind mittwochs morgens Mangelware im schönen Saint-Rémy, dafür aber bietet der Markt Genuss in Hülle und Fülle.
Mehr als hundert Stände
Die mehr als hundert Stände – im Winter sind es deutlich weniger – reihen sich in den Gassen der Altstadt, an den Boulevards Marceau und Victor Hugo aneinander und gruppieren sich auf dem Place de la Mairie und dem Place de la République. Viele Boutiquen, Delikatessengeschäfte und kleine Läden bieten ihre Waren auf Ständern und Tischen auch draußen an. Der Markt ist bunt, vielseitig und verfügt über eine gewisse Ordnung. Auf und um den Place de la Mairie und die Rue Lafayette Richtung Boulevard Marceau gibt es hauptsächlich Lebensmittel. Auf dem Place de la République werden Kleidung, Stoffe, bunte provenzalische Keramiken und zahlreiche Dinge, die für das Leben angenehm und nützlich sind, angeboten. Zugegeben: Ich weiß nicht, ob der eine und andere Händler nicht versucht, Touristen mit vermeintlich in Frankreich hergestellten Produkten hinters Licht zu führen. Ich vertraue ihnen einfach und habe auch noch keine negativen Erfahrungen gemacht.
Den Duft der Provence einkaufen
Mittlerweile kaufen wir bestimmte Produkte immer bei den selben Händlern ein, um auch im fernen Ruhrgebiet stets den Duft der Provence um uns zu haben. Das sind zum Beispiel die in der Sonne des Midi getrockneten Tomaten. Gleich pfundweise landen sie im Einkaufskorb, denn auch Freunde in Deutschland bitten uns, diese so schmackhaften Früchte mitzubringen. Sie werden dann entweder trocken geknabbert, nach Gusto in Olivenöl und Kräuter eingelegt – beides wird u.a. auch auf dem Markt eingekauft – oder zu einer köstlichen Tomatenpaste gekocht, die perfekt zu Suppen, Nudeln und Gemüse passt. Wir gehen weiter und uns steigt der Duft frisch gegrillter Hähnchen in die Nasen. Dazu bietet der vollschlanke Grillmeister mit seiner weißen Bocuse-Schürze Rosmarinkartoffeln an. Ein paar Schritte weiter köchelt in einer überdimensionalen Pfanne Paella mit goldgelbem Safranreis.
Am großen Stand für provenzalische Kräuter und Gewürze verschiedener Herkunft decken wir uns mit Piment el Espelette aus dem Baskenland ein. Das ist ganz sicher original und der Preis angemessen. Reis aus der Camargue und Lavendelhonig wandern heute auch noch in den Einkaufskorb, bevor wir im Grand Café Riche vis-à-vis dem Place de la République eine erste Rosé-Pause einlegen. Das muss sein, denn im Einmündungsbereich der D 99 auf den Boulevard Marceau „tobt“ der Verkehr. Fußgänger und Autofahrer nehmen das kleine Chaos gelassen hin. So gelingt es der Gendarmerie für einen halbwegs geordneten Verkehrsfluss zu sorgen. Auf der kleinen Verkehrsinsel gibt eine Chansonette ihr Bestes und erntet ehrlichen Applaus von den Gästen in den Cafés und Bars, die dieses reale Theaterstück am Mittwochmittag lieben.
Keine Haute Couture, aber für den Sommer im Midi
Nach der Erfrischung und dem Ohrwurm „Non je ne regrette rien“ im Kopf geht es hinüber auf den Place de la République. Zwischen Geschirrtüchern, Servierten und Tischdecken „made in France“ mischen sich Bademoden und Oberbekleidung von durchaus achtbarer Qualität aus Baumwolle oder Leinen und zu günstigen Preisen. Natürlich keine Haute Couture, aber für den Sommer im Midi lässt sich da das eine und andere nette Teil finden. Auch das passende Schuhwerk wird angeboten.
Rushhour vor der Bar Tabac
Nachdem wir Geschirrtücher – für mich die besten der Welt – erstanden haben und ein paar dunkelblauen Keramikschälchen – für was auch immer – nicht widerstehen können, kaufen wir noch einen Strauß Sonnenblumen und eilen in unsere Lieblingsbar Tabac an der Ecke Boulevard Victor Hugo, Rue de la Commune. Zum Rosè gibt es eine Plat du jour, das Tagesgericht. Während wir Wein und Lamm genießen, stauen sich auf dem Boulevard alte, teils verbeulte Lieferwagen, supermoderne Verkaufswagen, Lkw, Schul- und Linienbusse und die mit dem weißen Staub der Provence gepuderten Autos der nicht ortsansässigen Touristen. Wenn der Markttag um 13 Uhr zu Ende geht und die Händler nach Hause fahren, gleicht das Verkehrsaufkommen im kleinen Saint-Rémy der Rushhour in einer Großstadt. Mit einem Unterschied: hier nimmt es jeder ganz gelassen hin.
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