Nostradamus: allgegenwärtig in Salon-de-Provence. Nicht nur in seinem einstigen Wohnhaus, dem Maison Nostradamus an der gleichnamigen Rue, oder als moderne Skulptur in der Rue de l’Horloge. Auf Schritt und Tritt begegnet uns der berühmte Mann. Da gibt es eine Brasserie, eine Patisserie, ein Café, ein Campingplatz, einen Boulevard, ein Gebäck, eine Schokolade, natürlich eine Apotheke und wahrscheinlich noch vieles mehr, was seinen Namen trägt. Und selbstverständlich zahlreiche Souvenirs. Auch 458 Jahre nach seinem Tod am 2. Juli ist er hier in diesem typischen südfranzösischen Ort populär. Seine Prophezeiungen, die Centurien, machten ihn berühmt, sind bis heute für viele Menschen die Offenbarung der Zukunft. Ihre so vage Formulierungen ohne Zeit- und Namensangaben lassen mannigfaltige Interpretationen zu, die zwischen Vorhersage und realem Ereignis Übereinstimmungen ergeben. Doch ist es wirklich eine Prophezeiung oder nur die freie Lesart der Interpreten? Es sei dahin gestellt. Fakt ist: Vor dem Nostradamus-Brunnen in Saint-Rémy-de-Provence, wo der prominente Mann am 14. Dezember 1503 geboren wurde, lassen sich Südfrankreich-Reisende gerne fotografieren. Mindestens gleich viele, wenn nicht mehr Menschen besuchen sein Wohnhaus in Salon-de-Provence und sein Grab in der Kirche Saint-Laurent-de-Provence ebenda.
Das Leben des Michel de Nostradame gibt viele Rätsel auf. War er ein Gelehrter, ein Arzt, ein Wahrsager oder gar ein Scharlatan. Wer und was war er? Niemand vermag es sicher zu beantworten. Nostradamus lebte mit seiner zweiten Ehefrau, mit der er sechs Kinder hatte, von 1547 bis zu seinem Tod 1566 im Haus an der heute nach ihm benannten Straße im Herzen der Altstadt von Salon, zu Füßen des Château de l’Empéri. Das Maison de Nostradamus ist ein Museum, das Leben und Werk des Apothekers – so bezeichnete sich Nostradamus selbst – abbildet. Wobei seine und die Geschichte seiner Familie weitgehend nebulös ist, nur selten belegt werden kann. So soll er bei seinem Urgroßvater, zugleich sein Lehrer, aufgewachsen sein. Nach dessen Tod besuchte er 1518 für ein Jahr die Universität Avignon bis die Pest den Lehrbetrieb beendete. Nostradamus wurde Apotheker, wozu es seinerzeit keines Studiums bedurfte. Ab 1529 soll er einige Zeit an der Universität Montpellier studiert haben. Ein Studium der Medizin ist nicht belegt. Er heiratete, bekam Sohn und Tochter, verlor die Familie 1535 durch eine Infektionskrankheit. Er lebte mal hier, mal da. Seine Spur verlor sich.
Nicht Astrologe, nur ein Freund der Sterne
1541 kehrte Nostradamus zurück in die Provence. 1546 heiratete er zum zweiten Mal – wohlhabend – und widmete sich seiner schriftstellerischen Tätigkeit, begann 1550 mit dem Schreiben von Jahrbüchern mit Prophezeiungen. 1555 traf er König Heinrich II. und dessen Frau Catherine de Medicis. Sie war am Okkulten und besonders an Nostradamus interessiert, bat ihn, Horoskope für die Kinder zu erstellen. Einflussreiche Personen und Herrscher haben sich immer wieder Horoskope von ihm erstellen lassen. Aber sie alle waren äußerst fehlerhaft. Nostradamus, der nie Astrologie studiert hat, konnte die Planetenkonstellationen nicht wirklich bestimmen. Er hatte sich auch nie als Astrologe tituliert, sondern als Freund der Sterne. Auch in den Stand eines Arztes hatte er sich nie erhoben. Wer auch immer Nostradamus war, ein Hochstapler wohl nicht. Die Spur der Familie verliert sich im 17. Jahrhundert. Die Faszination ist geblieben.
Jung und typisch französisch
Salon-de-Provence, das kein primäres Ziel von Frankreich-Reisenden ist, lohnt einen Besuch auch ohne Nostradamus-Fan zu sein. Die Kleinstadt, deren Geschichte 125 Jahre vor unserer Zeitrechnung beginnt, als die Römer eine erste Siedlung um die Festung, dem heutigen Château de l’Empéri, anlegten, ist irgendwie typisch französisch. Auf den großen Straßen rund um die Altstadt staut sich der Verkehr morgens und nach Feierabend. In den zahlreichen Bistros und Cafés treffen sich Berufstätige und viele junge Leute zum Apéritif. Beliebt ist der Platz rund um die Fontaine Moussue, den Brunnen mit dem Moosbaum. Wer hier einen Stuhl erobern will, muss zuweilen geduldig warten. Touristen fallen kaum auf. Hier mischt man sich unters Volk und genießt das städtische Leben. Wer ein bisschen einkaufen möchte, findet Filialen großer Ketten und kleine Boutiquen, Geschäfte für den täglichen Bedarf. Salon versorgt das Umland. Der Reisende spürt Authentizität. Das macht die Stadt so charmant.
Wir sind im Bistro Au Bureau unterhalb des Château de l’Empéri mit dem Autoren Cay Rademacher verabredet. Der Deutsche lebt mit seiner französischen Frau und Familie seit vielen Jahren ganz in der Nähe von Salon. „Zurück nach Deutschland? Nein“, sagt Rademacher, der mit seinen Provence-Krimis um Capitaine Roger Blanc bei deutschen Frankreich-Fans beliebt ist. Und er, der auch historische Romane schreibt, liebt seine neue Heimat. „Salon ist eine junge und aufstrebende Stadt, in der viele Studierende aus Aix-en-Provence eine Wohnung gefunden haben. Die Mieten dort sind kaum mehr bezahlbar. Und seitdem es eine direkte Busverbindung zwischen Aix und Salon gibt, haben die jungen Leute hier eine gute Alternative gefunden“, erzählt er uns und lobt das kulturelle Angebot von Salon. „Es werden Konzerte und Theaterfestivals veranstaltet, die über die Stadt hinaus bekannt sind und Tausende Zuschauer anziehen.“
Erste nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung erfuhr Salon-de-Provence im 19. Jahrhundert als Seifenfabriken entstanden und der Handel mit Olivenöl und Kaffee florierte. Die Stadt war wohlhabend, was sich heute in den erhaltenen schönen Stadthäusern spiegelt. Zwei Seifenmanufakturen sind noch in Betrieb. Seit 1938 ist die Stadt Sitz der Französischen Luftwaffenschule. Die Kunstflugstaffel, die Patrouille de France, ist auf dem Militärflugplatz stationiert. Und rund um Salon ist die Provence noch wild. Die Garrigue, die typisch südfranzösische Heidelandschaft, ist ein wunderbares Terrain zum Wandern – und bis zum Mittelmeer ist es nicht weit.
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