Sie ist immer noch ein Traumziel, und das seit mehr als 250 Jahren: die Côte d’Azur. Was zieht die Menschen so unaufhörlich an den gut 200 Kilometer langen Küstenabschnitt am Mittelmeer zwischen Marseille und Menton? Ist es einzig der berühmte Name dieser azurblauen Küste? Zählt sie zu den Orten, die man im Leben einfach mal gesehen haben muss? Eine einzige Antwort gibt es nicht. Seit knapp drei Jahrzehnten bereise ich die Côte d’Azur. Also bin ich ein „Wiederholungstäter“, so wie Millionen andere Menschen auch. Es muss also etwas dran sein, an diesem Streifen am Meer, wo Luxus und Glamour vor langer Zeit eine offenbar untrennbare Symbiose eingegangen sind. Wo heute Vergangenheit auf Zukunft trifft, eine einzigartige Natur den nicht enden wollenden Staus auf den Küstenstraßen trotzt, Hotelpreise in exorbitante Höhen schießen, Restaurants für Wochen ausgebucht sind, Parkplätze in Nizza und Cannes für einen Tag soviel kosten wie zu Hause die monatliche Garagenmiete, und am Strand für den Liegestuhl samt Handtuch und Sonnenschirm mal locker 30 Euro fällig sind. Egal: Die Côte d’Azur zieht magisch an.
Ein Buchtitel wird zum dauerhaften Markenzeichen
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren die heute so mondänen Reiseziele wie Saint-Tropez, Cannes, Antibes, Nizza, Villefranche-sur-Mer mit dem vorgelagerten Cap Ferrat oder Menton an der Grenze zu Italien kleine Fischerdörfer. Noch Ende des 19. Jahrhunderts stellte der Schriftsteller Guy de Maupassant fest: „Weltabgeschieden, von Frankreich durch seine wilden, weglosen und unbewohnten Berge getrennt … ohne eine andere Verbindung mit bewohnten Gegenden als durch einen altmodischen Stellwagen und ein kleines Dampfboot, so ist Saint-Tropez sicher die eigenartigste unten den kleinen Küstenstädten des Südens.“ Und heute? Ein Touristenmagnet.
Der schottische Arzt und Schriftsteller Thomas Smollett (1721-1771) weckte 1767 mit seinem Buch „Travels through France and Italy“ erste Begehrlichkeiten, an die französische Riviera zu reisen. Dem Literaten Stéphen Liègeard (1830-1925) verdankt die Blaue Küste ihren Namen. Er titelte sein 1887 erschienenes Buch über die französische Riviera „La Côte d’Azur“ – bis heute der Inbegriff von Reichtum und Lifestyle mit allen Facetten. Mitte des 18. Jahrhunderts eroberten die Engländer die Riviera als Winterquartier und erkannten schnell, dass es sich dort auch im Sommer komfortabel leben lässt. Zählte Nizza 1829 noch 4000 Gäste aus England, so waren es 1900 bereits 60.000. Dann kamen die Deutschen, und ab Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte auch der russische Adel die Côte.
Die Amerikaner bringen den Jazz mit
War die Côte d’Azur zunächst ein Ziel für die noble Gesellschaft, änderte sich das zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Amerikaner in den Sommermonaten anreisten. Mit dem innovativen Musikstil Jazz im Gepäck brachten sie neuen Schwung in den eher behäbigen Kurbetrieb. Gebadet wurde fortan weniger aus gesundheitlichen Gründen, vielmehr stand das pure Vergnügen im Vordergrund. An den Stränden entstanden die bis heute so beliebten Beachclubs. Ein Luxushotel nach dem anderen wurde gebaut. Immer mehr Restaurants und Bars eröffneten. Die Côte stand für gute Laune unter ständig blauem Himmel: Die Party hatte begonnen – und dauert an.
Noch heute faszinieren uns die wundervollen Hotels aus der Belle Époque, auch wenn bei vielen nur noch die Fassade übrig geblieben ist. So wie das jüngste Objekt in Nizza, das Anantara Plaza an der Avenue de Verdun. Das komplett restaurierte Belle-Époque-Gebäude wurde vom Architekten Charles Dalmas entworfen und 1850 eröffnet. Heute befindet sich hinter der 140 Meter langen historischen Fassade eine noble Fünf-Sterne-Herberge. Direkt an der Promenade des Anglais logieren Touristen aus aller Herren Länder in den legendären Häusern Le Negresco und Palais de la Méditerranée. Wir fühlen uns an den Luxusstränden mit Rund-um-Versorgung und Nostalgie-Effekt in eine andere, ja leichtere Zeit versetzt. Die Mode setzt zwar an der Côte keine Trends, doch das Neueste steht hier auf der Tagesordnung. Dafür sorgen die schicken Boutiquen aller weltbekannten Luxuslabels. Mit einem Aperol-Spritz vom Liegestuhl aus auf das azurblaue Meer schauen, auf dem Yachten und Segler aller Preisklassen dümpeln, und den Alltag vergessen. Warum nicht?
„Geradezu wollüstig verweile ich möglichst lange an dieser Riviera, wo der Frühling ein Zauberspiel ist. Der ganze Mont Boron ist ein unermessliches Blütenmeer, und die Rosen quellen über, wuchern wie reife Früchte.“
Jean Lorrain, Nizza 1902
Mittlerweile ist die Côte d’Azur kein unbezahlbares Refugium mehr. Auf dem Flughafen Nizza landen und starten die Jets der Linien- und Billigairlines vormittags und am frühen Abend im Minutentakt. Zwischen Strand und Luxushotels legt der permanente Verkehr auf der Promenade des Anglais keine Pause ein. Der Lärmpegel erreicht zuweilen ungesunde Dezibel. Die noch junge U-Bahn zwischen Airport und Hafen bringt nur wenig Entlastung. Gruppen von Kreuzfahrtpassagieren finden kaum Beachtung. Junge Leute mit Rucksack, die fürs Wochenende eingeflogen sind, genießen den öffentlichen Strand und feiern bis in den Morgen. Durchaus erschwingliche Hotelzimmer gibt es Richtung Innenstadt oder am Airport, wo hochmoderne Businesshotels mit spiegelnden Fassaden nicht nur Geschäftsreisende beherbergen.
Neben Nizza zieht Marseille die Jugend an. Die lange verrufene Hafenstadt erfreut sich seit der Krönung 2013 zur Kulturhauptstadt Europas zunehmender Beliebtheit. Das trendige Viertel um den Vieux Port mit dem Museum der Zivilisationen Europas, ein architektonisches Meisterwerk, dem restaurierten Viertel Le Panier und der sich nach Süden anschließen Steilküste der Calanques mit ihren Stränden sind mittlerweile beliebte Ziele.
Le Festival de Cannes
Und dann ist da noch Cannes, die Stadt des weltberühmten Internationalen Filmfestivals, das seit 1946 „Die goldene Palme“ verleiht. Jedes Jahr im Mai wird vor dem Palais des Festivals et des Congrès der Rote Teppich ausgerollt, um Schauspieler und Filmschaffende von Rang und Namen zu empfangen. Präsidentin des Festivals ist seit 2022 die deutsche Rechtsanwältin und Managerin Iris Knobloch, die u.a. in verschiedenen Positionen für Warner Bros. in Los Angeles, London und Paris arbeitete. Sie ist die erste Frau und Nicht-Französin in diesem Amt.
Am Boulevard de la Croisette, der 1850 nach dem Vorbild der Promenade des Anglais in Nizza angelegt wurde, reihen sich zahlreiche Luxushotels wie das Carlton oder Martinez. In den Beachclubs mit den feinen Sandstränden ist es noch ein wenig teurer als in Nizza.
Literaten und Exilliteraten
An der Côte d’Azur können wir nicht nur ins azurblaue Meer eintauchen, sondern auch in die Welt der Literatur. In seinem Buch „Das flüchtige Paradies“ gibt uns Manfred Flügge einen äußerst lesenswerten Einblick in das Leben deutscher Schriftsteller im Exil zwischen 1918 und 1940. Das schöne Städtchen Sanary-sur-Mer spielte damals eine ganz besondere Rolle. Noch heute können wir hier abseits der mondänen Côte den Spuren von u.a. Thomas Mann, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, englischen Schriftstellern, Malern und Fotografen folgen. Auf dem Weg Richtung Saint-Tropez, Cannes und Nizza finden sich idyllische Plätzchen. Wer die Côte d’Azur von oben erfassen möchte, fährt am besten hinauf nach Eze und genießt oberhalb von Monaco ein überwältigendes Panorama.
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