Das historische Hotel de la Tour in Sanary-sur-Mer.

Sanary-sur-Mer – einst Hauptstadt der deutschen Literatur

2. August 2025 | 0 Kommentare

Die kleine Küstenstadt zwischen Toulon und Marseille war während des Nazi-Regims Zufluchtsort für die Familie Mann, Bertolt Brecht, Ludwig Marcuse, Lion Feuchtwanger und viele, viele andere. Das Hotel de la Tour gab den Exilanten mehr als nur Kost und Logis. Heute ist das historische Haus für interessierte deutsche Gäste ein begehrtes Ziel.

Sanary-sur-Mer – noch eine beschauliche Kleinstadt zwischen Toulon (12 Kilometer) und Marseille (58 Kilometer). 1035 als San Nazari gegründet ist das Städtchen zwar alt, blickt aber auf keine bedeutende Historie zurück. Die zum Département Var gehörende Gemeinde mit knapp 18.000 Einwohnern ging dennoch in die Geschichtsbücher ein: Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland im Januar 1933 emigrierten zahlreiche Schriftsteller und Künstler nach Sanary-sur-Mer. Der britische Autor Aldous Huxley (Schöne neue Welt), der deutsche Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe sowie andere Kunst- und Literaturschaffende, die sich schon nach dem Ersten Weltkrieg in dem schönen Küstenstädtchen niedergelassen hatten, gaben den Geflüchteten vorübergehend eine Heimat. Sanary wurde zur „Hauptstadt der deutschen Literatur“. Spätestens als Deutschland im Mai 1940 Frankreich angriff, suchten die Exilanten in den USA und der Schweiz Zuflucht.

Die Villa La Tranquille, wo einst die Familie von Thomas Mann lebte, wird umgebaut.

Villa La Tranquille – einst Zeugnis der Exil-Geschichte

Die Emigranten hinterließen ihre Spuren in Sanary, machen den Ort bis heute interessant für deutsche Besucher, die sich mit Leben und Werk der Familie Mann, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Lion und Marta Feuchtwanger, Bruno Frank, Egon Erwin Kisch, Ludwig Marcuse, Franz Werfel, Arnold und Stefan Zweig, um nur einige zu nennen, befassen. Doch ihre Zahl wird kleiner. Bei jüngeren Deutschen schwindet das Interesse. Und die Stadtverwaltung von Sanary, die zwar das Andenken an die Exilanten bewahrt, schreckt nicht davor zurück, dieses dem Profit unterzuordnen. So wurde kürzlich die Villa La Tranquille verkauft, in der Thomas und Katia Mann von Ende Mai bis Ende September 1933 – zeitweilig auch mit ihren Kindern – lebten und viele deutsche Literaten als Gäste willkommen hießen. Die neuen Besitzer dürfen jetzt aufwendig umbauen. Und nur noch eine kleine Hinweistafel vor dem Haus am Chemin de la Collin wird künftig daran erinnern, dass hier die Familie Mann während des Nazi-Regims untergekommen war. Durch den groß angelegten Umbau des Hafens sind auch die alten Kneipen Le Nautique, Brasserie de la Marine und Café de Lyon, in denen Brecht, die Manns und die vielen anderen sich trafen, verschwunden. Die historischen Namen haben die neuen Etablissements behalten, aber mehr auch nicht. Das Gefühl, dort zu sitzen, wo einst Brecht seinen Wein trank, ist ausgelöscht.

Hotel de la Tour – Heimat und Schutz in schwierigen Zeiten

Géraldine Mercier

Ganz anders im Hotel de la Tour am Quai Charles de Gaulle, 1898 als Grand Hotel direkt am Wehrturm eröffnet. 1929 wurde es von Pierre Chabanne erweitert. Sieben Jahre später kaufte der ehemalige Chefkoch der Brasserie des Brotteaux in Lyon, Lucien Mercier, das Gasthaus. Seit 2003 führt es seine Enkelin Géraldine in dritter Generation, und sie ist stolz darauf. Nicht nur, weil sie erfolgreich das Erbe ihres Großvaters erhält, sondern auch, weil sie das Andenken an die Emigranten und den Menschen aus Sanary, die ihnen in schwierigen Zeiten eine Heimat und Schutz gegeben haben, bewahrt. „Als mein Großvater Hotel und Restaurant damals kaufte, kannte er die Geschichte des Hauses gar nicht. Erst später erfuhr er durch Erzählungen von den Vorbesitzern und Bürgern aus Sanary, wer sich in den 1930er Jahren hier aufgehalten hat“, erzählt Géraldine Mercier. Für ihn, seine Kinder und nunmehr seine Enkelin war und ist es eine Herzensangelegenheit, dieses historische Kapitel des Hotels und der Stadt Sanary nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. „Es ist wichtig, Geschichte für nachfolgende Generationen lebendig zu halten“, sagt Géraldine. Mit Blick auf den Verkauf der Villa La Tranquille kritisiert sie, dass die Stadt das leider nicht immer tue.

Klaus und Erika Mann liebten das Hotelleben

Das Hotel de la Tour ist ein „Haus zwischen Vergangenheit und Gegenwart“, so Géraldine Mercier. Modernisiert wird das, was der Gast nicht sieht, ihm aber einen komfortablen Aufenthalt ermöglicht. Fassade, Treppenhaus, Zimmer und Accessoires – einfach das ganze Ambiente des Hauses – verkörpern hingegen den Charme von vor fast hundert Jahren. Klaus Mann, der älteste Sohn des Nobelpreisträgers Thomas Mann (Die Buddenbrocks), und seine Schwester Erika lebten im De la Tour. Es war sogar Klaus Manns Postadresse. Das Hotel war 1932 und 1933 für ihn mehr als nur eine Herberge. Es war Heimat und sein Ort der Inspiration während des Exils. „Er hat dort gelesen und geschrieben, geschrieben“, weiß Géraldine Mercier aus Erzählungen.

Das Zimmer von Klaus Mann.

In seinen Tagebüchern berichtet Klaus Mann von den Mittagessen im kleinen Zimmer, den Treffen mit seinen Freunden Ludwig Marcuse und Lion Feuchtwanger. Mit Blick auf den Hafen schreibt er in Zimmer 17 Teile seiner Romane Schmerz eines Sommers und Mephisto, verfasst Artikel für die von ihm herausgegebene Oppositionszeitschrift gegen das Nazi-Regime, Die Sammlung. Klaus Mann hielt sich in Paris, Amsterdam und der Côte d’Azur auf. Im April 1936 ist er wieder in Sanary, wieder im De la Tour. „Freude des Wiedersehens mit Sanary. Hübscher Blick von meinem Zimmer auf die Bucht mit den Booten“ zitiert Manfred Flügge in seinem Buch Das flüchtige Paradies. 1937 ist der Schriftsteller ein letztes Mal in der Stadt. „Das Zimmer mit der Nummer 17 ist bei unseren deutschen Gästen sehr begehrt“, freut sich Géraldine Mercier. Es ist schon großes Glück, den Schlüssel für dieses Zimmer zu bekommen.

Der heutige Blick von Zimmer 17 auf den Hafen von Sanary-sur-Mer.

Beschlagnahmung während des Kriegs

Während des Kriegs wurde das Hotel zunächst von der französischen, dann von der italienischen Armee beschlagnahmt. Im November 1942 wurde die deutsche Kommandantur dort untergebracht. Das De la Tour wurde stark beschädigt, aber nach dem Krieg wieder aufgebaut. Noch heute finden sich Einschusslöcher in der Fassade. Nachkommen ehemaliger Exilanten, Prominente aus Kunst, Kultur und Politik besuchen das Haus, in dem auch Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger unterkamen, der Maler Pablo Picasso und der Meeresforscher Jaques-Yves Cousteau logierten. Heute kommen viele Deutsche und folgen den Spuren der Familie von Thomas Mann. „Ich bin glücklich, das Hotel-Restaurant mit seiner Geschichte so erhalten zu können“, sagt Géraldine Mercier und hofft, dass ihre beiden Söhne dieses Erbe weiterführen werden. Ein Erbe, wodurch ein Teil Historie von Sanary-sur-Mer und deutscher Literaturgeschichte gegenwärtig bleiben.

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