Hoch über dem Meer führt die Strecke 22 Kilometer vorbei an kleinen Ortschaften, Buchten und Häfen, schmalen Stränden. Vor der Küste dümpeln Boote, schaukeln weiße Yachten seicht im Wind. Mit dem Auto ist das Ufer kaum erreichbar, denn die Zufahrt in der Regel nur Anwohnern erlaubt. Wir fahren mit dem Train Côte Bleue. Eine spektakuläre Reise zwischen Marseille und dem Étang de Berre erwartet uns. Am Südhang des Massif de la Nerthe windet sich der Zug an der blauen Küste entlang. Weiße Felswände fallen steil ab ins Meer. An den Hängen hat sich eine wilde Flora aus Nadelgehölzen und den Pflanzen der Garrigue festgekrallt. Tief unten schäumt die leichte Brandung des kristallklaren Wassers gegen das Ufer. Der Blick schweift weit über das Mittelmeer, der Horizont in unendlicher Ferne. So blau das Meer, so blau der Himmel: das ewige Blau, so intensiv an einem Sommertag in Südfrankreich.
Im Kopfbahnhof Marseille Saint-Charles beginnt die Reise. Vom Boulevard d’Athènes führt die imposante Freitreppe hinauf zur Bahnhofshalle, deren Außenwand und Glasdach Fragmente des ursprünglichen Gebäudes von 1848 sind. Neben Hochgeschwindigkeitszügen verlassen hier auch die Bahnen des Regionalverkehrs die Stadt. Der Train Côte Bleue verbindet vierzehnmal pro Tag Marseille mit Miramas. Wir beschränken uns auf die eindrucksvolle Küstenroute bis Martigues. Das Tagesticket kostet im Sommer für die gesamte Strecke und beliebig vielen Zwischenstopps 10 Euro für zwei Personen. Der Zug steht bereit. Auf der Plattform tummelt sich ein buntes Völkchen von Touristen und Pendlern und den Marseillais, die einen freien Tag am Meer verbringen wollen. Einsteigen bitte und einen Platz auf der linken, der Meerseite ergattern. Ruckelnd setzt sich der Train Côte Bleue in Bewegung. Durch 23 Tunnel, über zwei Brücken und 18 Viadukte wird er nun in gemütlichem Tempo rund 80 Minuten unterwegs sein.
Großartiger Blick über die Reede
Schon nach kurzer Fahrt der erste Stopp: Arenc Euroméditerranée. Das ist die Bezeichnung des Stadterneuerungsprojektes in Marseille, 1989 nach dem Vorbild Lyons begonnen. Vor den Quais mit den Fähr- und Kreuzfahrtterminals wachsen eine moderne Skyline und Waterfront mit Büros, Geschäften und Restaurants mit Meerblick. Touristen steigen hier eher selten aus. Das Viertel ist einen separaten Besuch wert und lässt sich vom alten Hafen zu Fuß oder per Bus erreichen. Oberhalb der Anleger für die Ozeanriesen setzt der Zug seinen Weg fort und nimmt etwas mehr Tempo auf. Der Blick über die Reede von Marseille ist großartig. Hinter dem Bahnhof L’Estaque ist der Train Côte Bleue dann auf der imposanten Panoramastrecke. Niolon: Der Haltepunkt liegt hoch über dem Meer. Viele junge Leute steigen aus, bepackt mit Rucksäcken und Kühltaschen. Unten gibt es einen kleinen Hafen. Ein Viadukt überspannt die Calanque du Jonquier. Kleine Restaurants laden zum Mittagessen am Meer ein. Die Aussicht auf der Weiterfahrt ist nun atemberaubend. Fast senkrecht stürzen die Felswände ins Meer. Zahlreiche Wanderwege erschließen die wilde Küstenregion. Immer wieder fährt der Zug durch Tunnel, die für Wanderer verboten sind, weil lebensgefährlich. Der Wechsel von Licht und Finsternis strapaziert die Augen ein wenig. Der Blick auf Natur und Meer bleibt unvergesslich.
Ensuès-la-Redonne, dann Carry-le-Rouet. Durch einen Kiefernwald geht es hinunter ans Wasser. Kleine Läden, ein Hafen, eine kleine Promenade mit Restaurants. Hier legen Ausflugsboote zu den vielen Felsbuchten ab, die nur über Wasser zu erreichen sind. Sausset-les-Pins bietet ein ähnliches Bild, und La Couronne auch einen Strand. Letzte Station der Expedition mit dem Train Côte Bleue ist Martigues. Der Bahnhof Lavera liegt einsam und verlassen drei Kilometer außerhalb und wird nur vom Train Côte Bleue angefahren. Shuttlebusse verbinden ihn mit dem Ortskern. Das kleine Städtchen, 30 Kilometer westlich von Marseille zwischen Mittelmeer und Étang de Berre gelegen, ist eine Erkundung wert. Besonders der historische Ortskern L’Isle, der von vielen Kanälen durchzogen wird, lohnt eine Besichtigung und erinnert ein wenig an Port Grimaud. Der Canal de Caronte verbindet den Étang de Berre mit dem Mittelmeer. Der Salzwassersee ist mit rund 156 Quadratkilometern der größte in Frankreich. Er wird genutzt zur Meersalzgewinnung sowie zur Muschel- und Austernzucht.
Zum Abschluss einen Aperitif
Von Martigues-Lavera fahren wir wieder zurück nach Marseille und sitzen nun auf der rechten Seite im Train Côte Bleue. Einmal mehr genießen wir das herrliche Panorama. Jetzt am späten Nachmittag ist das Licht weicher, die weißen Felsen stehen nicht mehr in so scharfem Kontrast zum azurblauen, hin und wieder türkis schimmernden Meer. In Carry-le-Rouet nehmen wir noch einen Aperitif. In der frühen Abenddämmerung erreichen wir wieder Marseille und haben das Gefühl, die große Stadt vom Meer aus zu erobern. Im Gare Saint-Charles zieht uns der Strom der Pendler und Reisenden mit zur großen Freitreppe und hinunter in den Schmelztiegel der Kulturen.
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