Mitten drin in der Altstadt von Nizza: Enge Gassen. Fünf-, sechsstöckige hohe Häuser. Die gelb bis rot getünchten Fassaden spiegeln das Sonnenlicht der Côte d’Azur, das die unteren Etagen der farbenfrohen Gebäude niemals erreicht. Bunte Fensterläden schützen vor den Blicken der Nachbarn von gegenüber. Die Wäsche hängt zum Trocknen auf vor den Fenstern gespannten Leinen, auch mal über die Gasse von Haus zu Haus. Hin und wieder tropft es von oben, wenn leuchtende Blumen oder Kräuter in Tontöpfen gegossen werden. In den Gassen ein Gewimmel: Nizzaer und Reisende aus vielen Teilen der Welt. Männer und Frauen auf Troittinettes, auf Motorrollern. Kinder in Buggys sich mit Eis bekleckernd. Die Postbotin auf dem Lastenfahrrad, die Männer von der Müllabfuhr und Straßenreinigung mit ihren kleinen Spezialfahrzeugen. Eine Gruppe Kreuzfahrttouristen hinter einer fähnchenschwenkenden Dame herhechelnd. Arm in Arm ein verliebtes Paar, das in einer anderen Welt zu sein scheint. Junge Leute, das Smartphone dicht vor dem Gesicht haltend. Wogend wie das Meer bewegt sich die Masse durch die Altstadt. Rechts und links kleine Geschäfte mit bunter Mode, Lederwaren, Souvenirs, Schmuck. Das Sträßchen mit den Metzgereien, den Kräuterläden. Herrlich die Aromen. Sie mischen sich mit dem Duft der provenzalischen Seifen. Und letztlich mischt sich alles mit den Wohlgerüchen aus den Küchen der zahlreichen kleinen Restaurants und Bistros. Das alles untermalt von einem an- und abschwellenden Stimmengewirr unterschiedlichster Sprachen.
Mitten drin in der Altstadt von Nizza, in der Rue Droite 28: „Chez Thérésa“, seit 1925 eine Institution für das Zubereiten typischer und einfacher Spezialitäten aus Nizza – besonders la Socca de Nice. Dieser spezielle wie simple Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl, Olivenöl, Salz und Wasser genießt große Popularität. Es gibt kaum einen Reisenden, der dieses Fladenbrot nicht probiert. Gold-gelb bei hoher Temperatur auf großem Blech im Holzkohleofen gebacken, sofort aufgeschnitten, nur mit Pfeffer oder Piment, Paprika oder Kräutern gewürzt, wird es heiß von einem Stück Pergamentpapier aus der Hand gegessen. Dazu ein Gläschen eisgekühlter Rosé – et voilà!
Gebacken wird bei „Chez Thérésa“ in einer ehemaligen kleinen Bäckerei, der die alteingesessene Nizzaer Familie mit der Herstellung von Socca und anderer Leckereien neues Leben eingehaucht hat. Der Holzkohleofen stammt gar von 1867. Vor allem in der Mittagszeit stehen vor dem winzigen Laden viele Hungrige geduldig an. Socca ist eine preiswerte und nahrhafte Mahlzeit und stammt ursprünglich aus dem nicht weit entfernten italienischen Genua. Einst war Socca ein Arme-Leute-Essen, das schon im Mittelalter als Brotersatz galt. Heute gehört es zu Nizza wie die Mittagskanone, die täglich um zwölf Uhr über die Altstadt und den Cours Saleya hallt und so manchen Gast erzittern lässt.
Am Rande der Altstadt von Nizza, wenige Schritte vom Meer entfernt: der Cours Saleya, der Markt. Auch dort bietet „Chez Thérésa“ den beliebten Pfannkuchen an. Die Wartezeit dauert schon einmal etwas länger, denn la Socca wird mit einem speziellen Lastenfahrrad von der Rue Droite zum Markt gebracht. Die Fahrt durch die engen Gassen lässt sich eben nicht so genau programmieren. Mit einem freundlichen und aufatmenden „Ahhh“ wird der Bote von den Wartenden begrüßt. Um 15 Uhr ist dann Schluss mit Socca. Feierabend. Am nächsten Morgen um neun kommt das erste frische Fladenbrot wieder aus dem Ofen. Und montags ist Pause, ist ja auch kein Markttag.
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