Der Zauber der Provence: Lavendelfelder und sanfte Hügellandschaften.

Eine literarische Reise in die Provence

14. September 2024 | 0 Kommentare

Marcel Pagnols autobiografische Romane aus den 1950er Jahren versprühen heute noch den Zauber des Midi. Die Kindheitserinnerungen des Schriftstellers sind eine Hommage an das Land des Lavendels und wecken Reiselust.

Wir verließen das Dorf, nun begann der Zauber, und ich fühlte das Erwachen einer Liebe, die mein Leben lang dauern sollte. So erinnert sich Marcel Pagnol im Alter von 62 Jahren an den Beginn seiner ersten Ferien im Sommer 1904. Zusammen mit seiner Familie begibt sich der Neunjährige auf die beschwerliche Reise von Marseille in die nur knapp zwanzig Kilometer entfernte La Bastide Neuve. Mit Pferdekarren, Trambahn und vor allem zu Fuß führt der Weg ins Dorf La Treille – heute ein Stadtteil von Marseille. Eine unermeßliche Landschaft erhob sich vor mir im Halbkreis bis in den Himmel. … und von allen Seiten erklang wie aus einem Meer von Musik das metallische Zirpen der Grillen. Ein Sommer voller Entdeckungen und Erfahrungen liegt vor Marcel. In seinen Jugenderinnerungen Eine Kindheit in der Provence, veröffentlicht 1957, beschreibt Marcel Pagnol den einzigartigen Zauber dieser Landschaft, in der sich eine leichte Brise erhob und plötzlich Lavendel- und Thymianduft entfachte. Noch im selben Jahr setzt er die Geschichte mit dem Roman Das Schloss meiner Mutter fort. Mit Marcel und Isabelle, der Erzählung des Sommers 1905, beendet er die Trilogie 1959. In diesem dritten Buch bringt das Mädchen Isabelle Unordnung in sein Kindheitsparadies, das letztendlich aber seine Magie behält.

Eine Liebeserklärung an die Provence in drei Teilen in der Übersetzung von Pamela Wedekind erschienen im Piper Verlag.

Marcel Pagnol
Foto: wikimedia commons

Marcel Pagnols Kindheitserinnerungen an die Provence wecken Reiselust. Dass die Erlebnisse und die Berührung mit Flora und Fauna des Neunjährigen beinahe 120 Jahre zurückliegen, vergisst der Leser, der die Provence kennt, schnell. Gleich hinter La Treille, wo in der sanften Hügellandschaft die Garrigue, die typisch mediterrane Strauchheidenformation, beginnt, steht das Ferienhaus, die Bastide Neuve – noch heute als historische Sehenswürdigkeit erhalten. Dahinter das Massif du Garlaban, eine Berggruppe in der Marcel mit seinem Freund Lili verborgene Höhlen entdeckt, Vogelfallen aufstellt, zusammen mit Vater Joseph und Onkel Jules auf die Jagd geht. Die Region ist ein Hotspot in der Provence für Wanderer und Naturliebhaber. Das Aufstellen von Vogelfallen und Bejagen von Singvögeln, das Pagnol so ausführlich beschreibt, löst zugegeben Unbehagen aus, ist durch die EU seit Jahren aber weitgehend verboten. Die erste olfaktorische Wahrnehmung der typisch provenzalischen Kräuter Rosmarin, Thymian, Majoran, Salbei und Fenchel war bei meinen anfänglichen Provence-Reisen nicht viel anders als bei dem kleinen Marcel. Nirgendwo sonst duften Gewürz- und Heilpflanzen, zu denen natürlich auch der Lavendel zählt, so intensiv wie im Midi. Und wenn die Familie auf der Terrasse der Bastide unter dem Feigenbaum die Mahlzeiten einnimmt, begleitet vom nie endenden Konzert der Zikaden, dann schließe ich die Augen und möchte mich am liebsten in die Provence beamen, an einen reich gedeckten Tisch in der Provence.

Standardlektüre an Frankreichs Schulen

Marcel Pagnols autobiografische Provence-Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, neben Deutsch und Englisch u.a. in Dänisch und Chinesisch. An Frankreichs Schulen sind sie bis heute Standardlektüre. Der Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur wurde am 28. Februar 1895 in Aubagne als Sohn eines Volksschullehrers und einer Schneiderin geboren. Zu seinem drei Jahre jüngeren Bruder Paul hatte Marcel eine besonders innige Beziehung, die er in den Romanen liebevoll beschreibt, besonders beim Indianerspiel. 1902 kam eine Schwester und 1909 ein weiterer Bruder zur Welt. 1904 zog die Familie nach Marseille. Marcel besuchte die Schule an der Avenue Chartreux 56, an der sein Vater unterrichtete. Eine Gedenktafel erinnert an den prominenten Schüler, der Dank eines Stipendiums auf das Gymnasium Thiers (heute Lycée Thiers) wechselte und seinen Hochschulabschluss an der Universität Aix-en-Provence erwarb. Pagnol war zweimal verheiratet und hatte fünf Kinder. Er starb am 18. April 1974 in Paris und wurde bei seiner Familie auf dem Friedhof von La Treille beigesetzt.

Erste Erfolge als Autor feierte Marcel Pagnol mit Bühnenstücken für das Petit Théâtre de Paris. Er besaß ein Filmstudio und machte sich auch als Regisseur einen Namen. Er gilt neben Nobelpreisträger Frédéric Mistral (1830-1914) und Jean Giono (1895-1970) als Schriftsteller der Provence und einer der bedeutendsten französischen des 20. Jahrhunderts. Die nur rund 17 Kilometer von Marseille entfernte Stadt Aubagne hat das Geburtshaus ihres berühmten Sohnes am Cours Barthélemy als kleines Museum mit einer Nachbildung der Wohnung eingerichtet. Exponate aus Kindheitstagen, Familienfotos, Schulhefte und Briefe sowie ein Dokumentarfilm über Leben und Werk halten die Erinnerung an Marcel Pagnol aufrecht.

Aber in meiner Provence werden die Kiefern- und Olivenwälder nur gelb, wenn sie wirklich absterben. … Auf den Hochebenen behalten Thymian, Rosmarin, Wacholder und Zwergeichen, umgeben von blauem Lavendel immer ihre Blätter. … So ließen die Ferientage in ihrer sich immer gleichbleibenden Harmonie die Zeit nicht vorrücken, und der Sommer, der doch schon tot war, zeigte noch ein faltenloses Gesicht beschreibt Pagnol seine Eindrücke am Ende des Sommers 1904. Das empfinde ich auch heute so, wenn ich wieder Richtung Norden fahre.

Marcel Pagnols Kindheitserinnerungen an die Provence sind ein hinreißendes Lesevergnügen und irgendwie zeitlos schön.

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